Ton und Tun
Im Radialsystem hat Sasha Waltz Tanz und Musik »gefaltet«
Flüsternd betreten die Tänzer und Musiker einzeln die Szene im Radialsystem. Was sie in ihrer Diagonalstaffelung säuseln, ist nicht zu verstehen. Später zitiert eine Tänzerin Witziges aus den Briefen von Mozart, ehe auch sie ins Flüstern gerät. Er, der große Salzburger, steht musikalisch im Zentrum von Sasha Waltz‘ neuer Produktion. Thomas Schenk hat ihr dafür eine Art Konzertzimmer gebaut, heller Boden, als Hintergrund ebenfalls hölzern ein bühnenlanges Paneel. Als zweiter Komponist ist der Franzose Mark André mit im Boot. Seine auf Stille bedachten, ungewöhnlich die Instrumente einsetzenden Eingebungen laufen im Wechsel mit Werken Mozarts, Sätzen aus Divertimenti und Sonaten sowie einem Adagio für Klavier. Blüht Mozarts Klangwelt üppig, so verweigert sich André eher, sucht das Verschwinden des Tons hörbar zu machen. »gefaltet« heißt Waltz‘ Abend von ungemein intensiven zwei Stunden Dauer und verallgemeinert den Begriff Faltung, das Miteinander von Impuls und Antwort in der Musik, auf eine Kollaboration der Künste Tanz und Musik.
In ihren barock inspirierten Kostümen von Beate Borrmann gehen die Tänzer aktiv auf die vier Instrumentalisten zu, betasten, umringen sie, kippen sie aus der Senkrechten. Der Musik kann das nichts anhaben, ihr Klang ist unabhängig von der Lage des Konzertierenden im Raum. Auch die Tänzer untereinander sind in steter Beobachtung, ballen sich zur Gruppenform, als würden sich chemische Grundbausteine zu Molekülen vereinigen, ehe die Form wieder zerfällt, oft nur, weil eine Person ausschert. Als eines der Bewegungsmotive dient die Standwaage, in der Tänzer verharren oder von anderen um ihre Achse herum geführt werden. Furios ist bisweilen der Kontakt zwischen Ton und Tun, wenn die Akteure durch den Raum fliegen, als würden sie abheben wollen, kontrastiert von Einzelindividuen, die statuarisch bleiben. An Malerei im Raum mag das erinnern. Gespannte Atmosphäre erzeugen Soli mit ihren Schwüngen, Sprüngen, Spiralen, Verzögerungen im Tempo, was die Dynamik anheizt.
Zu den schönsten Begegnungen von Tanz und Musik gehört ein Duo, in dem Edivaldo Ernesto, ohnehin eine der zentralen Figuren im Dialog der Künste, unendlich zart Carolin Widmann hebt, trägt, ohne dass der blühende Ton ihrer Violine Schaden nähme. Musik entschwebt hier auch gegenständlich in höhere Sphären. Auf den Boden holt Alexander Lonquich zurück: Er klopft auf das Holz seines Flügels, ehe er Mozarts traumartiges Adagio KV 540 spielt. Auch die Streicher entlocken ihren Instrumenten ungewöhnliche Töne, ziehen den Bogen über den Holzkörper statt über die Saiten, was Tänzer aufnehmen, Bögen als Peitschen einsetzen, sie mit dem Fuß betätigen. Skulptural wirken die Ballungen der Tänzer, verwenden Stütze und Balance als Prinzipien, erzählen so etwas über die Verantwortung, den anderen nicht stürzen zu lassen. Das lebt ein Paar in seinem gespannten Duett aus, während ein Mann eine Frau aus dem Gleichgewichtstaumel erlöst, im Flügel ablegt. Näher an der Musik geht nicht. Bücher platziert sie dort auf den Saiten, weshalb dem Instrument sein Nachhall abhandenkommt.
Beeindruckend originell erfunden wie vieles in dieser Produktion ist ebenso ein Duett mit strikt ineinander verschränkten Armen, bis diese Form der Körpernähe zerspringt. Am Ende schieben Tänzer den Flügel auf Bühnenmitte, stellen Stühle für die Streicher davor. Respektvoll zieht sich der Tanz in die Rolle des Lauschenden zurück, während sich im konzertreifen Spiel das Allegro aus Mozarts Klavierquartett KV 478 zum letzten »Wort« des anregenden Abends entfaltet.
18.3., 29., 30.6., Radialsystem, Holzmarktstr. 33
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