Einfach mal dran riechen
Deutsche verwirrt über Lebensmittelkennzeichnung - Verbraucherschutzministerin startet Aufklärungskampagne
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat dem massenhaften Wegwerfen von Lebensmitteln den Kampf angesagt. Eine Studie ihres Ministeriums belegte vergangene Woche, dass der Durchschnittsdeutsche jährlich 82 Kilo Lebensmittel in die Tonne schmeißt, von denen 53 Kilo noch genießbar wären. Ein Grund dafür sei auch die Unkenntnis der Verbraucher über das Mindesthaltbarkeitsdatum. Eine groß angelegte Aufklärungskampagne in über 21 000 Lebensmittelgeschäften soll nun Abhilfe schaffen.
Und tatsächlich scheint beim Käufer häufig Verwirrung über die verschiedenen Kennzeichnungen auf Fleisch, Käse oder Fertigprodukten zu herrschen. Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Kategorien: Mit dem Aufdruck »Mindestens haltbar bis ...« werden zum Beispiel industriell verpackte Wurst, Konserven, Milchprodukte, Kuchen oder Säfte versehen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum sagt aber nur aus, bis wann das Produkt - ungeöffnet und vorschriftsmäßig gelagert - Geschmack, Geruch, Farbe und Konsistenz behält.
Lebensmittel mit einem Verbrauchsdatum dagegen sind leicht verderblich und sollten möglichst bald verzehrt werden. »Zu verbrauchen bis ...« bedeutet also tatsächlich, dass man das Lebensmittel nach dem aufgedruckten Datum nicht mehr essen sollte. In diese Kategorie fallen beispielsweise frisches Fleisch oder die - selten gewordene - Frischmilch.
Im Lebensmittelhandel werden aber auch viele Produkte ohne Kennzeichnung verkauft. Das betrifft vor allem Obst und Gemüse, unverderbliche Waren wie Zucker und Salz, aber auch Süßigkeiten und Erfrischungsgetränke mit hohem Alkoholanteil. Hier greife Aigners Kampagne zu kurz, kritisierte die Verbraucherexpertin der Bundestagsfraktion der Grünen, Nicole Maisch. Obst und Gemüse machten einen Großteil der weggeworfenen Lebensmittel aus.
Tatsächlich zielt die Kampagne nicht auf eine Veränderung des Kennzeichnungssystems ab, sondern will die Verbraucher über das Haltbarkeitsdatum informieren. Aigner sagte, es sei »kein Wegwerfdatum, sondern eine Orientierungshilfe.« Sei es erreicht oder überschritten, »sollten die eigenen Sinne den Gütetest übernehmen«.
Dafür gab es gleich Beifall von der Industrie. Es sei richtig, am »bewährten System« festzuhalten, sagte der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, der Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft. Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie tönte gar, ihre Unternehmen verfolgten seit langem das Ziel, »Lebensmittelverschwendung einzudämmen«. Man gehe »verantwortungsvoll mit landwirtschaftlichen Rohstoffen um«.
Das lässt sich allerdings bezweifeln. Der Filmemacher Valentin Thurn zeigte in seinem Dokumentarfilm »Taste the Waste« (»Koste den Abfall«), dass heute bereits die gleiche Menge an Lebensmitteln vernichtet wie gegessen wird - ein Großteil davon bereits auf dem Feld. Zwar wirft auch der Verbraucher viel weg, die Nahrungsmittelproduzenten liefern ihm dafür allerdings die passenden Argumente: Bilder von ungleichmäßigem, fleckigem Obst liefert die Werbung nicht. Zudem verführen Großpackungen und Lockangebote wie »Nimm zwei, bezahl eins« geradezu zum Wegwerfen. Und das dürfte der Industrie nicht ungelegen kommen, lautet die Losung doch »mehr verkaufen«. »Was nützen bessere Hinweise zur Haltbarkeit von Lebensmitteln, wenn Hersteller und Handel die Verbraucher durch Niedrigstpreise, aggressive Werbung und XXL-Formate bereits zu unnötigen Käufen verleitet haben?«, sagte Karin Binder, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Dass der Verbraucher Schuld sei, wie die Stoßrichtung der Kampagne nahelege, spiegele die Meinung der Lebensmittellobby wider.
Laut einer aktuellen forsa-Studie hat die Diskussion über die Kennzeichnung allerdings bereits etwas bewirkt: 19 Prozent der Deutschen wollen ihren Umgang mit Lebensmitteln verändern.
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