Gute Laune dank öffentlichem Dienst
Über Streik-Techniken und die Zukunft der Eingriffsverwaltung
Michael Terwiesche kann ein ganz klein bisserl stolz auf sich sein: Wikipedia widmet dem FDP-Vorsitzenden von Wesel, der »Hansestadt am Rhein« in der »LEADER-Region Lippe-Issel-Niederrhein«, einen eigenen Artikel. Schließlich war Terwiesche »im Jahr 2005 für wenige Monate Bundestagsabgeordneter« und durfte mal ein ganzes Jahr lang den Ehrentitel »Bezirksvorsitzender der Jungliberalen Niederrhein« führen.
Vorgestern dann bekam der 48-Jährige eine dicke Story in der im Ruhrpott bedeutsamen WAZ: »FDP-Kreisvorsitzender findet Streik asozial«. Heute schließlich der Höhepunkt der Polit-Karriere: Terwiesche wird im »nd« erwähnt – der Sprung in die überregionalen Medien ist ihm gelungen! Dazu: Glückwunsch.
Aber seine Inhalte...
Auch in NRW veranstalten die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einen Warnstreik? Das, so FDP-Terwiesche, »richtet sich nicht gegen die kommunalen Arbeitgeber. Er trifft die Bürger, die auf einen funktionierenden ÖPNV oder Kindertagesstätten angewiesen sind«. Hart geht der Jurist mit ver.dis Streiktatktik ins Gericht. Die sei schlicht »asozial«. Denn: »Wie soll sich eine Mutter, die ihr Kind in einer Kindertagesstätte unterbringen muss, gegen die Tarifforderungen von Verdi zur Wehr setzen?«
Und vor allem: Warum sollte sie? Vielleicht findet sie ver.dis Argumente ja stichhaltig – soll ja vorkommen unter lohnabhängig Beschäftigten. Wenn auch nicht immer: Laut der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift »ver.di PUBLIK« veranstaltet ver.di Weiterbildungsseminare unter dem Titel »Humor in der Gewerkschaftsarbeit«. Schließlich könne Humor befreiend oder deeskalierend wirken. So könne der Gewerkschafter souveräner auf ein Mitglied reagieren, »das seiner Wut beispielsweise über den Streik des öffentlichen Nahverkehrs Luft macht«.
Die Taktik in diesem Fall: Den Widerstand erst einmal positiv annehmen, so Luft gewinnen, um wohlwollende Gegenangebote unterbreiten zu können, »bis man eine gemeinsame Ebene gefunden hat«. Insbesondere könne man »den Erbosten« darauf hinweisen, »dass er nach dem Streik von besser bezahlten und noch freundlicheren Beschäftigten gefahren wird, und dies letztlich auch seine Lebensqualität erhöht.«
Doch auch die beste (Humor-)Schulung nutzt der Dienstleistungsgewerkschafterin nix, wenn Erboste nicht das Gespräch suchen. Und so steht für FDP-Terwiesche die Schlussfolgerung fest: Noch mehr öffentliche Dienstleistungen sollten privatisiert werden! Weil: »Private Verkehrsbetriebe beteiligen sich nicht an Streiks.« Kirchliche Kitas übrigens auch nicht. Dort ist man nahe dran am Vergelt`s-Gott-Tarif – ein Zustand, den Terwiesche nun auch für Bus- und Bahnfahrer erstrebt.
Gleichwohl, in gewisser Hinsicht hat unser gelber Mitbürger schon recht: Warum müssen Streiks eigentlich immer ÖPNV-Nutzer treffen? Warum wird nicht ausnahmsweise mal der Autoverkehr lahm gelegt? Das würde viel größeren Eindruck schinden, die gewerkschaftliche Gegenmacht-Position exorbitant steigen. Und Autofahrer sind, diplomatisch gesprochen, viel druckempfindlicher. Die zwangsläufigen Hupkonzerte kann man ja als Teil der Streikaktion umdeuten. Und die im Seminar erlernten Humortaktiken können sich mal in der wirklich harten Praxis bewähren.
Ver.di muss es nur wollen. Schließlich hat die Dienstleistungsgewerkschaft ja die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, mit Verlaub, unter dem Hintern. Die sind auch zuständig für Ampelanlagen und Straßen und Absperrungen. Kreative Aktionen wären möglich. Und Streik-Proteste könnten doch auch mal auf großen zentralen Parkplätzen stattfinden. Wenn man sich dort (und nur dort!) in die Streiklisten eintragen kann, um an`s liebe Streikgeld zu kommen, wäre der Andrang gewiss riesig.
Der Gewerkschafts-Basis, naturgemäß viel besser informiert als der Schreiber dieser Zeilen, würden sicherlich noch mehr Aktionen einfallen, die legal, nicht sicherheitsgefährdend, gleichwohl extrem nerventötend wären.
Streiktage sind auch immer Tage des Innehaltens. Da bleibt vielleicht Zeit, um über die Zukunft der Eingriffsverwaltung zu diskutieren. Kopenhagen wäre ein gutes Gesprächsthema: Dort fördern sie massiv den Radverkehr, weswegen die dänische Hauptstadt zu den als ganz besonders lebenswert empfundenen Metropolen der Welt zählt. Aber der Erfolg hatte einen Preis: zu viele wild parkende Renn-, City-, Trekking- und Klappräder! Und die versperren oft Rettungswege.
Was tun? Die deutsche Obrigkeit würde auf Repression setzen. Der Däne ist klüger: Entdeckt ein Mitarbeiter der städtischen Verwaltung ein illegal parkendes Fahrrad, so trägt er es nicht nur zum nächsten Fahrradständer. Er reinigt und ölt auch die Kette, er pumpt die Reifen auf.
Das sind exakt jene beiden Maßnahmen, die das nicht top gepflegte Fahrrad sofort wieder erheblich schneller machen. Formvollendet! Rad-Butler heißen die service-orientierten Jungs. Und sie wirken: Statt 150 Rädern pro Tag werden nun nur noch 30 bis 50 illegal geparkt.
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