Ölarbeiter in Aktau vor Gericht
Prozess gegen Anführer und Beteiligte der Proteste im westkasachischen Shanaosen begann
Nach den Feierlichkeiten zum Tag der Staatlichkeit am 16. Dezember 2011 war der Streik ausgeartet: Geschäfte wurden geplündert, mehrere öffentliche Gebäude in Brand gesteckt. Die Polizei hatte mit scharfer Munition in die Menge geschossen, dabei kamen nach offiziellen Angaben 16 Menschen ums Leben. Internationale Organisationen wie Human Rights Watch wollen bei eigenen Recherchen bis zu 70 Opfer ermittelt haben. Der Streik war der erste große Arbeitskampf in Zentralasien, die Machthaber reagierten panisch und verhängten über die Ölarbeiterstadt den Ausnahmezustand, der erst im Februar aufgehoben wurde.
Am Dienstag begann in der 145 Kilometer entfernt liegenden Gebietshauptstadt Aktau der Prozess. Auf ein faires Verfahren und maximale Transparenz drängen nicht nur internationale Menschenrechtsorganisationen. In Almaty, das bis Mitte der 90er Jahre Hauptstadt Kasachstans war, versammelten sich am Sonntag immerhin mehrere hundert Menschen, um mit einer Schweigeminute der Opfer zu gedenken. In dem Steppenstaat, den Präsident Nursultan Nasarbajew seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 autoritär regiert, ist das ein Akt zivilen Ungehorsams, wie die Republik ihn bisher selten erlebte. Ramsan Jesergepow, der Chef der Stiftung für gefährdete Journalisten, verlangte in einem offenen Brief an die UNO, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), das Außenministerium der USA und die Organisation der islamischen Staaten eine »prinzipielle und eindeutige Wertung« der Vorgänge in Shanaosen. Immerhin hatte Kasachstan 2010 als erster UdSSR-Nachfolgestaat den OSZE-Vorsitz inne. Der Westen hatte sich nach langem Zögern dazu durchgerungen, Kasachstan trotz gravierender Demokratie- und Menschenrechtsdefizite einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.
Womöglich war das verfrüht. Obwohl ausschließlich Beschäftigte von Staatsunternehmen in den Ausstand traten, lehnte die Regierung Verhandlungen mit den Streikenden brüsk ab. Dadurch, so kritisieren Beobachter, sei der Arbeitskampf überhaupt erst zu Unruhen ausgeartet. Die Machthaber schieben den Schwarzen Peter Journalisten zu. Shanna Baitelowa, die unmittelbar vor den Unruhen in der Zeitung »Respublika« berichtet hatte, die Streikenden seien in ihrer Not zum Äußersten entschlossen, wird vorgeworfen, ihr Artikel habe die Unruhen provoziert. Sie wurde bereits mehrfach vernommen und steht weiter unter Druck. Kollegen, die recherchierten, wurden massiv behindert. Auch die Chancen für eine objektive Berichterstattung zum Prozess sind gering. Zwar ist das Verfahren öffentlich, doch die Verhandlung findet in einem Saal mit knapp 50 Plätzen statt. Über 40 davon beanspruchen allein die Verteidiger. Und auf der Anklagebank sitzen weder die Beamten, die den Schießbefehl gegeben haben, noch jene, die ihn ausführten.
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