Grenzenlose Demokratie

Initiativen sind froh, dass es endlich losgeht – am Ziel fühlen sie sich aber noch nicht

  • Lesedauer: 4 Min.
Ab dem 1. April können EU-Bürger die politische Agenda von Kommission und Parlament beeinflussen – wenn sie eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) starten. Weltweit gibt es damit erstmals ein staatenübergreifendes Initiativverfahren der direkten Demokratie. Doch ob die EU seinen Bürgern damit wirklich näher rückt? Die Anforderungen für ein Begehren sind hoch, das Verfahren weder schnell, noch einfach. Trotz aller Einwände: Die Bürgerinitiative wird die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit und die transnationale Vernetzung von unten befördern. Das wird Europa verändern. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Bürger können von jetzt an europäische Politik beeinflussen, zumindest ein bisschen mehr.
Bürger können von jetzt an europäische Politik beeinflussen, zumindest ein bisschen mehr.

Greenpeace hat schon eine Million Unterschriften zusammen. Der Umweltverband sammelte im letzten Jahr Unterschriften für ein Verbot von Grüner Gentechnik in der Europäischen Union und übergab diese der EU-Kommission. Die Initiative war symbolisch. Sie sollte den Druck Richtung Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene erhöhen. Jetzt ist es so weit: Die Gentechnikgegner nun wirklich loslegen und einen rechtlichen Weg nutzen, der die EU-Institutionen zwingt, sich mit ihren Forderungen zu befassen.

Mit der europaweiten Bürgerinitiative kann jeder EU-Bürger ab 1. April eine Unterschriftenkampagne starten und so ein Thema auf die Agenda von Kommission und Parlament bringen. Voraussetzung: Man braucht mindestens eine Million Unterstützer aus mindestens 7 EU-Ländern. Die Bürgerinitiative wurde im Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 festgeschrieben – jahrelang hatten europäische Demokratieinitiativen für ein europaweites Instrument gekämpft.

Zwar sind diese froh, dass es endlich losgeht – mit direkter Demokratie habe das aber noch nicht viel zu tun: »Wir glauben nicht an einen Ansturm von Initiativen, denn es gibt immerhin keine Möglichkeit, wirklich eine Entscheidung auf europäischer Ebene zu erzwingen«, meint Carsten Berg, Chef der Kampagne für die Europäische Bürgerinitiative gegenüber »nd«. Trotz politischen Drucks von Berg und seinen Kollegen ist die Europäische Bürgerinitiative nicht verbindlich. Wenn eine Initiative erfolgreich ist, dann muss im Parlament eine Anhörung zum Thema stattfinden und die Angelegenheit von der Kommission geprüft werden – jedoch besteht keine Pflicht ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.

Casten Berg kritisiert vor allem, dass es keine Möglichkeit eines Bürgerentscheids gibt, wie es in Deutschland der Fall ist: Ist hier eine Bürgerinitiative erfolgreich, kann im nächsten Schritt mit einem Volksentscheid der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen werden.

Kommissionskritiker aus dem Europäischen Parlament wie der Berichterstatter der Initiative und Grüne Gerald Häfner befürchten, dass die Initiative zu einem »zahnlosen Tiger« werden könnte. NGOs und Europaabgeordnete haben sich deshalb seit längerem für eine Senkung der bürokratischen Hürden eingesetzt: So forderten sie die Herabsetzung der erforderlichen Mitgliedsstaaten und auch eine Erleichterung bei der Stimmeinsammlung. So ist es nun möglich seine Unterschrift auch im Internet abzugeben und statt einem Drittel der Mitgliedsstaaten genügen nun Unterschriften aus einem Viertel der EU-Länder.

Trotzdem gibt es immer noch eine Reihe von Hindernissen: So wurde in 18 Mitgliedsstaaten festgelegt, dass nicht nur Adresse, Geburtsdatum und Unterschrift für eine Unterstützung genügen, sondern auch die Personalausweisnummer angegeben werden muss. »Das ist datenschutzrechtlich bedenklich und erschwert die Stimmeinsammlung auf der Straße«, kritisiert Carsten Berg. In Deutschland wurde dieses Verfahren verhindert, jedoch in 18 weiteren Ländern ist die Abgabe der Ausweisnummer Pflicht. Zudem hat eine Initiative nur zwölf Monate Zeit, die Unterstützer einzusammeln – zu kurz finden Kritiker, die bis zu 24 Monaten fordern.

Es ist zu erwarten, dass vor allem ressourcenstarke, etablierte Organisationen das anspruchsvolle Verfahren schultern können, schwächer organisierte Graswurzelinitiativen dürften zumeist an den hohen formalen Voraussetzungen scheitern. Trotz der Schwierigkeiten glauben Demokratie-Kämpfer wie Carsten Berg daran, dass die Europäische Bürgerinitiative einiges ändern wird: »Es geht vor allem um transnationale Politik von unten und die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit«, betont der EBI-Vorsitzende. Die Initiativen könnten helfen, dass die EU-Bürger sich gemeinsam für politische Ziele engagieren und so näher zusammenrücken. Angst vor rechten oder faschistischen Initiativen haben die Demokratie-Verfechter nicht: Zwar habe es schon Interesse für einen Initiative gegen den Türkei-Beitritt gegeben, in der Mehrheit käme das Interesse für das Instrument aber von sozialen oder ökologischen Organisationen.


Prozedere und Initiativen

Voraussetzung: Um eine Europäische Bürgerinitiative zu starten, müssen sich mindestens sieben Bürger aus sieben EU-Mitgliedsstaaten zusammenfinden und einen »Bürgerausschuss« bilden. Ab 1. April geht das Portal der Europäischen Kommission online, wo Kampagnen sich registrieren lassen können.

Das Quorum: Die Initiatoren müssen innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften zusammentragen. In jedem Land gibt es eine Mindestanzahl an Stimmen, je nach Bevölkerungsanzahl. In Deutschland benötigt man knapp 75 000 Stimmen, in Slowenien 6000.

Die Wirkung: Die gesammelten Unterschriften werden von der Kommission geprüft und Fachexperten vorgelegt. Zuletzt folgen dann die Antwort der Kommission sowie eventuell eine Anhörung im Parlament. Eine Pflicht für den Gesetzgeber, das Bürgeranliegen inhaltlich umzusetzen, besteht nicht.

In den Startlöchern: Einige Bürgerinitiativen sind bereits angekündigt. So unterstützen europäische Gewerkschaftsstrukturen eine Initiative gegen die Liberalisierung der Wasserversorgung, die Occupy-Bewegung will eine Unterschriftenkampagne für ein Grundeinkommen starten und ein Europaabgeordneter der CSU sammelt bereits seit geraumer Zeit Stimmen für einen arbeitsfreien Sonntag. Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung erwägen ebenfalls eine europaweite Initiative, zudem wurde wiederholt die Einführung der Finanztransaktionssteuer als Thema ins Gespräch gebracht, auch von Spitzenpolitikern wie dem Chef des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD). SG/IW

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