Schuldenbremse mit Ewigkeitsgarantie
»Das Sozialstaatsmodell hat ausgedient«, so der EZB-Präsident Mario Draghi jüngst in einem Interview des Wall Street Journals. Oberstes Ziel müsse es sein, das »Vertrauen der Finanzmärkte« wieder herzustellen. Dies sei nur möglich mit einer Politik der harten Haushaltskonsolidierung, also weiteren massiven Kürzungen. Dabei könne auf den Sozialstaat keine Rücksicht genommen werden.
Seit mehr als zehn Jahren erleben wir in Deutschland einen Abbau des Sozialstaates. Einerseits wurden die Steuern für Reiche und Vermögende massiv gesenkt. Jährlich gäbe es heute Mehreinnahmen von 50 bis 60 Milliarden Euro, hätten wir noch die Steuergesetze von 1998. Andererseits wurde mit den berüchtigten »Maastricht-Kriterien«, die eine jährliche Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes erlauben, ein Druck zur Kürzungspolitik verschärft. CDU und SPD haben in der Großen Koalition mit der im Grundgesetz verankerten »Schuldenbremse« das finanzpolitische Korsett enger geschnürt. Ab 2019 dürfen die Länder überhaupt keine Schulden mehr machen und der Bund im Grundsatz nur noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Die Auswirkungen sind bereits heute vor allem in den Ländern und Kommunen Alltagsrealität. Egal, wer regiert, der Kürzungsdruck ist brutal und erzwingt vielerorts den handelnden Mandatsträgern eine unsoziale Politik auf. Insbesondere CDU- und FDP-Politikern mag dies ein Herzensanliegen sein, für linke Bürgermeister führt der Kürzungsdruck immer wieder zu einer Verkehrung ihrer eigentlichen politischen Ziele.
Mit dem bereits von den EU-Ministerpräsidenten - ausgenommen Großbritannien und Tschechien - sowie der Bundesregierung beschlossenen Fiskalpakt soll die Schuldenbremse europaweit Gültigkeit erhalten. Die Mitgliedsstaaten dürfen in der Regel nur noch Schulden in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes machen.
Die jeweilige nationale Haushaltssouveränität wird massiv beschnitten. Perfide ist insbesondere, dass die Schuldenbremse in den jeweiligen Verfassungen nicht mehr veränderbar ist - sie erhält eine »Ewigkeitsgarantie«. Selbst wenn in zehn Jahren eine deutsche Regierung mit Zweidrittelmehrheit die Schuldenbremse wieder streichen wollte, wäre dies verbaut. Die Demokratie verkommt so immer mehr zur Farce.
Mit dem Fiskalpakt drohen Kürzungsorgien in Europa ohne Vorbild. Allein in den Eurostaaten sind in den nächsten fünf Jahren weitere Kürzungen von über 1,5 Billionen Euro zu befürchten. Dies droht zu einem brutalen Angriff auf Löhne und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, einem systematische Druck auf Renten und Sozialleistungen sowie zu flächendeckenden Privatisierungen zu führen.
Der Fiskalpakt wird die Krise nicht stoppen, sondern nur noch weiter verschärfen. Die Kürzungen führen zur massiven Beschneidung der Binnennachfrage vor allem der europäischen Partnerländer und damit in die Rezession. Die deutschen Exporte nach Europa werden so zurückgehen und die deutsche Wirtschaft treffen. Spätestens dann werden auch die Menschen in Deutschland verstärkt empfindlich getroffen. Wer dem Fiskalpakt im Bundestag zustimmt, versündigt sich an Europa und an den Lebensinteressen der Menschen in unserem Land.
Die wirklichen Ursachen der Krise der Eurostaaten liegen in der Rettung der Banken in den letzten Jahren, die viele Milliarden gekostet hat. Hinzu kommt der Anstieg der Verschuldung in vielen Staaten, der durch die aggressive deutsche Außenhandelspolitik entstanden ist. Wenn Deutschland seit 2000 einen Außenhandelsüberschuss von 1,4 Milliarden Euro erzielt hat, dann ist die Gegenfinanzierung nur möglich gewesen durch wachsende Verschuldung der Defizitländer Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Portugal usw.
Um die europäische Krise zu beenden, müssen die Ursachen bekämpft werden. Banken müssen unter öffentliche Kontrolle, der Terror der Finanzmärkte muss beendet werden. Und wir brauchen wieder knackige Lohnerhöhungen, um das Lohndumping, das die Grundlage des aggressiven Außenhandels des deutschen Kapitals ist, zu stoppen. Der gesetzliche Mindestlohn mit zehn Euro und eine erfolgreiche Tarifrunde sind das Gebot der Stunde.
Für die Sanierung der Staatshaushalte in Europa gibt es eine schnelle Lösung: Eine einmalige Abgabe für Vermögensmillionäre. Würde man diese mit 50 Prozent ansetzen, dann wären die gesamten europäischen Staatsschulden von rund zehn Billionen Euro halbiert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.