»Kinderrechte müssen einklagbar sein«
Seit 20 Jahren gilt in Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention - Zeit für eine Bilanz
Deutschland, so scheint es, ist auch am 20. Jahrestag nach der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention immer noch kein wirklich kinderfreundliches Land. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Keine andere Altersgruppe ist so stark von Armut betroffen wie Kinder, im öffentlichen Leben haben sie kaum Mitbestimmungsrechte und im Bildungssystem herrschen eklatante Ungleichheiten.
»Kinder werden hierzulande nicht genügend wertgeschätzt«, so das ernüchternde Fazit der DKHW-Bundesgeschäftsführerin Heide-Rose Brückner am Mittwoch vor Journalisten in Berlin. Deshalb sei es dringend notwendig, Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Obwohl der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Bundesregierung bereits 1994 und 2004 aufgefordert hatte, Kinderrechte auch verfassungsrechtlich festzuschreiben, steht das immer noch aus. Kinder besitzen bisher keine eigene verfassungsrechtliche Stellung und können nur von den Eltern abgeleitete Rechte geltend machen. »Kinderrechte müssen künftig einklagbar sein«, forderte Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig. Über den Bundesrat habe sie bereits eine Mehrheit für eine Gesetzesinitiative angestoßen. Öffentliche Gelder für Hilfsorganisationen und Projekte könnten dann verfassungsrechtlich eingeklagt werden.
Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Tom Koenigs (Grüne), kritisierte zudem, dass die UN-Konvention die sorgerechtliche Gleichstellung von Kindern nicht miteinander verheirateter Eltern mit Kindern nahelege, deren Eltern verheiratet sind. Bis heute habe die Bundesregierung dazu jedoch keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Ein Referentenentwurf ist derzeit in der Abstimmung zwischen den beteiligten Ministerien. Bislang erhält bei unverheirateten Eltern automatisch nur die Mutter das Sorgerecht für das Kind.
Auch bei der Teilhabe von Kindern am politischen Leben gebe es laut DKHW einigen Nachholbedarf. Brückner plädierte für eine landesweite Herbasenkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Momentan seien die politischen Beteiligungsmöglichkeiten in Deutschland noch wie ein »Flickenteppich« über die einzelnen Länder verstreut.
Besonders kritisch ist die Situation für die rund 2,7 Millionen Kinder, die laut Kinderhilfswerk von Armut betroffen sind. »Wir bekommen fast täglich Anfragen von Eltern, die es sich nicht leisten können, das Zimmer ihres Kindes einzurichten, oder die Ausstattung für Jugendweihe, Konfirmation oder Schulanfang zu bezahlen«, beklagt sich Brückner. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert deshalb ein nationales Programm zur Bekämpfung von Kinderarmut und die Anpassung der Hartz IV Regelsätze für Kinder.
Eklatante Missstände bei der Achtung von Kinderrechten herrschen nach wie vor für Flüchtlingskinder. »Die rechtliche Situation ist absolut unzureichend«, bilanziert die DKHW-Geschäftsführerin. Obwohl Deutschland im Mai 2010 seine Vorbehaltserklärung zurücknahm, die eine rechtliche Gleichbehandlung von Flüchtlingskindern verhinderte, findet eine konsequente Umsetzung der Konventionen für Flüchtlinge nicht statt. Problematisch ist dabei insbesondere, dass Kinder im deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht bereits mit 16 Jahren als »verfahrensmündig« gelten und deshalb formalrechtlich wie Erwachsene behandelt werden.
Kinder und Asylbewerberinnen erhalten zudem einen Regelsatz, der 35 Prozent unter dem Hartz IV Niveau liegt. Die Bezüge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben sich seit 1993 nicht erhöht. Von dieser sozialrechtlichen Schlechterstellung sind momentan etwa 40 000 Flüchtlingskinder in Deutschland betroffen. »Es ist die tägliche Verpflichtung der Bundesrepublik, alle Kinder auf ihrem Grund und Boden gleichzubehandeln«, mahnte Lothar Krappmann, Schirmherr der Kampagne »Jetzt erst Recht(e) für Flüchtlingskinder«. Schwesig forderte, den Regelsatz anzugleichen.
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