Putin provoziert Propheten
Bei seinem letzten Auftritt als Premier ließ der gewählte russische Präsident das Auditorium warten
Putin selbst hatte die alljährliche Rechenschaftslegung der Exekutive vor der Legislative in seiner zweiten Amtszeit als Präsident eingeführt und es mit diesen seinen Pflichten als Premier stets sehr genau genommen. Auch im Wortsinn. Berühmt-berüchtigt für sein ständiges Zuspätkommen - Putin versetzte die Queen und die spanischen Bourbonen -, erschien er in der Duma aus Achtung vor dem Wählerwillen bisher stets auf die Sekunde genau.
Gestern indes ließ er Abgeordnete und Berichterstatter geschlagene fünfzehn Minuten warten. Das, so die Prophetenzunft in ersten Reaktionen, zeige, dass Putin sich sicherer denn je fühle.
Eine Stunde war für seine Rede kalkuliert wurden. Es wurden genau 91 Minuten, Bilanz des Erreichten und Blick in die Zukunft hielten sich dabei die Waage.
Mit dem Hier und Jetzt dagegen war Putin - auch wegen der stark rückläufigen Tendenz der Massenproteste - erstaunlich schnell fertig. Die Logik einer reifen Demokratie, sagte er gleich zu Beginn, bestehe darin, dass nach Wahlen eine neue Etappe beginnt, die den Blick in die Zukunft richtet. Es folgte ein Feuerwerk positiver Wirtschaftsdaten. Russland habe die Folgen der Krise vollständig überwunden, im Unterschied zu mehreren Staaten Europas ohne Souveränitätsverluste. Staatliche Konjunkturprogramme hätten auch für Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen und Breitensport substanzielle Verbesserungen gebracht.
Es gebe derzeit weniger Arbeitslose als vor der Krise, die Inflation habe sich in den vergangenen vier Jahren - Putins Amtszeit als Premier - halbiert. Russland sei zum zweitgrößten Getreideexporteur weltweit aufgestiegen und weise eine positive demografische Entwicklung auf. Löhne und Renten stiegen stetig, trotzdem sei der Einkommensunterschied zwischen Arm und Reich nach wie vor so krass wie in den USA.
Das sei für Russland als Teil Europas auf Dauer nicht akzeptabel und gefährde zudem Pläne für den Aufstieg zur fünfgrößten Wirtschaftsmacht weltweit. Dieses Ziel soll schon laufenden Jahrzehnt erreicht werden, dazu auch das Investitionsklima substanziell verbessert werden. Forderungen der Investoren nach Transparenz der Spielregeln, Garantien für Besitz und Rechtsstaatlichkeit seien berechtigt. Derzeit liegt Russland im internationalen Rating des Geschäftsklimas auf Rang 178 und damit so ziemlich am Schluss.
Mit der Realisierung seiner Roadmap - seiner Wegekarte als Präsident -, so Putin, der am 6. Mai vereidigt wird, habe er bereits begonnen. Absolute Priorität habe dabei die Rückbesinnung auf traditionelle ethische Grundlagen, vor allem auf eine Familie mit mehreren Kindern, die »im Geiste nationaler kultureller Traditionen« erzogen werden. Sibirien und Fernost würden stärker als bisher gefördert, ihre Kommunikation mit Zentralrussland verbessert, um die Abwanderung der Bevölkerung zu stoppen.
International werde Russland seine Position vor allem durch neue Formen der euroasiatischen Integration stärken. Angesichts der globalen Turbulenzen sei die Kooperation mit Russland für viele ehemalige Sowjetrepubliken sehr attraktiv.
Er, so Putin abschließend, hoffe für seine dritte Amtszeit auf konstruktive Zusammenarbeit mit der Opposition sowie zwischen Legislative und Exekutive. Nur durch allgemeinen Wohlstand könne die Macht sich das Vertrauen der Bevölkerung erhalten.
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