Rehsen, ein Dorf im Landkreis Anhalt-Zerbst, ragt wie eine Insel aus der Wasserwüste, in die das Hochwasser der Elbe die Gegend um den Wörlitzer Park verwandelt hat. Mit einem gewaltsamen Dammbruch haben sich die Dörfler selbst in diese Lage gebracht und womöglich auch juristisch ins Abseits manövriert.
Das Motorboot durchbricht die Stille des Wassers. Stellenweise bis zu zwei Meter bedeckt nun die Flut alles, was sich ihr in den Weg gestellt hat: Wiesen, Felder und sogar die Landstraße. In der Ferne sind zwei Inseln zu sehen. Auf der einen harren ein paar Kühe aus, auf der anderen sind ein paar Dächer zu sehen. Dort ist das 300 Einwohner zählende Dorf Rehsen. »Das ist die Insel in der sachsen-anhaltischen Seenplatte«, sagt der Bootsmann.
Rehsen gleicht einer Festung im quadratkilometerweit überfluteten Wörlitzer Winkel. Grasbewachsene, noch erdbraune und mit bunten Sandsäcken zusätzlich erhöhte Deiche umgeben Rehsen von fast allen Seiten. Die zischende Wasserfontäne an einem der Deiche, verursacht durch das Abpumpen des Wassers, erinnert an das Brodeln in der Dorfgemeinschaft. Der Katastrophenschutz wirft den Rehsenern vor, sie hätten mit ihrem eigenmächtigen Handeln auch die Nachbargemeinden in Not gebracht.
»Wie Ratten wurden wir geopfert, damit Magdeburg, Dessau und der Wörlitzer Park gerettet werden«, schimpft Klaus Scheffler. Die Wut darüber treibt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Er ist Chef der Freiwilligen Feuerwehr Rehsen. Scheffler zufolge haben die Feuerwehrleute »alles im Griff«. Die mehr als 20 Männer in der Dorfkneipe stimmen ihm Kopf nickend zu. Gemeinsam haben sie den Bürgermeister quasi entmachtet. Der traue sich nicht mehr auf die Straße, sagt einer der Männer.
Er habe seine Arbeit nicht gemacht, begründet der Wehrleiter. Der Bürgermeister habe vor der Flut einen alten Damm schließen wollen. Die Bewohner hätten stattdessen mit Unterstützung der Feuerwehr und freiwilligen Helfern aus Halle, Leipzig und dem Nachbarort Gohren einen neuen Damm errichtet, um den größten Schaden im Ort zu verhindern. »Kurz vor dem Ende« des Dammbaus am Sonntag seien jedoch die Hilfskräfte abgezogen worden. Die Bevölkerung wurde evakuiert. »Dann mussten wir zugucken, wie das Hochwasser kommt«, klagt Scheffler. Als ein Teil des Ortes überflutet wurde, waren die etwa 70 im Ort verbliebenen Rehsener enttäuscht und verzweifelt.
Am Montagabend brachen sie dann den Deich zur Nachbargemeinde Gohrau auf - mit einem Wasserschlauch, 25 Bar Druck. Das Wasser riss den Damm auf etwa 20 Meter Länge auf. Sie hätten damit ein Überlaufen der Deiche aus dem nördlich gelegenen Seegrehna verhindern wollen, wo die Wassermassen einen Deich auf 100 Meter Länge abrutschen ließen, sagten die Rehsener. Die Deichöffnung gelang, der unmittelbare Ortskern blieb trocken, aber die Fluten umspülten das Dorf. Seit Dienstag ist der Ort von der Außenwelt abgeschnitten. »Der Nachbarort Gohrau ist aber von uns gerettet worden, sonst wäre er auch abgesoffen«, behauptet der 26-jährige Daniel Lorenz. Und doch bekämen sie nun Ärger. Den Rehsenern drohe ein juristisches Nachspiel.
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