Boris und Ken Kopf an Kopf
Am 3. Mai wählt London einen neuen Oberbürgermeister
In der blauen Ecke der Sieger von 2008, der Eton-Zögling, Journalist und Witzbold Boris de Pfeffel Johnson. In der roten der Labour-Vorgänger, der gern Johnsons Nachfolger werden will: Ken Livingstone. Zwei britische Politiker, die die Wähler schon beim Vornamen kennen. Sie überstrahlen ihre Parteien und die chancenlosen anderen Kandidaten fürs höchste Nicht-Regierungsamt, das England zu vergeben hat.
Eigentlich müsste Livingstone nach zwei erfolgreichen Amtszeiten beste Siegeschancen haben. Die Tory-geführte Regierung wird immer unbeliebter, wegen ihrer rabiaten Sparpolitik. Die Großstadt London ist zwar weltoffen, die Bürger aber sind nicht steinreich. Livingstones Versprechen, U-Bahn- und Busfahrpreise zu senken, trug ihm Sympathien ein. Die Olympischen Sommerspiele 2012 hat er, nicht Johnson, in die Hauptstadt geholt; die Automaut half gegen Staus und Abgase in der Stadtmitte.
Aber jeder, der acht Jahre regiert, macht sich auch Feinde. Livingstones an sich berechtigte Kritik an der israelischen Siedlungspolitik sorgt für Unmut in Nordlondoner Vierteln mit jüdischen Wählern, sogar bei traditionellen Linkswählern. Seine Fehde mit dem »Evening Standard«, einzige Abendzeitung der Hauptstadt, verschafft ihm Probleme. Dass er - legal, aber etwas anrüchig - seine Steuerschuld durch die Schaffung einer Privatfirma reduzierte, wurde nicht nur dort genüsslich ausgeschlachtet.
Der fernseherprobte Johnson folgt ironischerweise Livingstones Beispiel, koppelt sich von seiner Partei ab und versucht sich als unabhängige »Marke Boris« zu verkaufen. Hinter Pennälerwitzen und flapsigen Bemerkungen verbergen sich eine scharfe Intelligenz und ein gut entwickelter Machtinstinkt. Beispiel: Die »Boris-Fahrräder«, die nach einem Deal mit der Barclays-Bank an Ständern auf Kundschaft warten, suggerieren umweltfreundliche Tatkraft und lassen vergessen, dass Johnson das Geld für Radfahrerspuren um Millionen reduzierte, die Vergrößerung der Mautzone verhinderte und die Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsmittel mehr als verdoppelte. Bei den Augustkrawallen 2011 konnte der OB durch lautstarke Beschimpfungen von den Folgen der eigenen Kürzungspolitik ablenken; nicht genug Polizisten schützten die Londoner Straßen.
Doch Boris blieb unbehelligt wie Mackie Messer. Sein Plan eines neuen Großstadtflughafens an der Themsemündung ist wegen der vorhandenen Flugzeugkonzentration und der dortigen Vogelkolonien eine Schnapsidee, die ihn jedoch in den Schlagzeilen hält. »Boris verteidigt Londons Interessen«, lautet die Devise. Sie stimmt aber nur zum Teil. Der OB setzte sich zwar bei Premier David Cameron wiederholt für die Londoner City ein - vom Widerstand gegen eine Tobin-Steuer bis zum erfolgreichen Einsatz für Steuersenkungen für Superreiche. Den Mietern im sozialen Wohnungsbau, die wegen der Sozialkürzungen demnächst vertrieben werden, blieb Johnson dagegen stumm und unsichtbar. Sofern Livingstone die Aufmerksamkeit auf die von ihm vertretene Politik lenken kann - preiswerte Wohnungen, niedrigere Fahrpreise, die Wiedereinführung des Schüler-Bafögs, mehr Kita-Plätze - kann er deshalb die Wende noch schaffen.
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