(K)ein Zeichen aus der Zukunft
Während der Piratenpartei von links wahlweise Neoliberalismus, Naivität, Rechtslastigkeit oder Frauenfeindlichkeit vorgeworfen werden, klingen die Vorwürfe von rechts fast origineller: Die Piraten seien eine »Linkspartei mit Internetanschluss« tönte FDP-Chef Philipp Rösler kürzlich, und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher attestierte ihnen bereits 2009 Neigungen zum Marxismus, weil ihr Verhältnis zum Eigentum ungeklärt sei. Tatsächlich fordern sie freien Zugang zur Bildung oder die radikale Änderung des Urheberrechts.
Über Letzteres tobt gerade eine heftige Debatte in den Feuilletons der Republik: Angestoßen von einem Wutausbruch des Musikers und Schriftstellers Sven Regener führen Tatort-Autoren und das Handelsblatt die Kampagne »Mein Kopf gehört mir«. Softwareentwickler und Piraten fordern dagegen eine faire Bezahlung statt nutzloser Urheberrechte.
Leider sind die Piraten nicht die Vorhut des Kommunismus, wie Schirrmacher suggeriert. Trotzdem ist zu fragen, ob das Gespenst, das hier von bürgerlicher Seite an die Wand gemalt wird, nicht Zeichen für einen sich wandelnden Kapitalismus ist. Katja Kullmann interpretiert die Piratenpartei als Versuch einer neuen bürgerlichen Klasse, sich - wenn auch »vorläufig noch etwas stümperhaft« - über ihre Interessen zu verständigen. Die Wissensarbeiter und Softwareentwickler übertragen ihre alltäglichen Erfahrungen mit der Beschränkung der Wissensproduktion durch Patent- und Urheberrechte auf andere Lebensbereiche: Warum sich mit der Forderung nach einer freien Netzinfrastruktur zufrieden geben, wenn eine freie Verkehrsinfrastruktur genauso wichtig für Arbeit und Leben ist?
Wer Arbeit, Bezahlung und Nutzung der Arbeitsprodukte entkoppelt, ist schnell bei Ideen wie dem Grundeinkommen. Das Arbeitsprodukt gilt dann nicht mehr als privates Eigentum; das Eigentumsrecht am Produkt wird so gestaltet, dass es kollektives Eigentum bleibt. Und während Teile der Linken noch dem Eigentumsbegriff John Lockes anhängen, nach dem Arbeit Eigentum begründet, lässt diese Klasse - ohne es zu ahnen - die Marxsche Kritik praktisch werden: Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten und konsumiert nach seinen Bedürfnissen. Getreu der Kritik des Gothaer Programms, wo Marx sich gegen die Vorstellung wandte, dass Gerechtigkeit hergestellt sei, wenn nur jeder Arbeiter den vollen Ertrag seiner Arbeit erhielte und formulierte: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.«
Dennoch ist die Piratenpartei in ihrer Kapitalismuskritik nicht konsequent. Statt im »Spiegel«-Streitgespräch mit dem Musiker Jan Delay über die Entlohnung von Künstlern eine Kulturflatrate zu fordern, plädierte der kulturpolitische Sprecher der Piraten im Abgeordnetenhaus Berlin, Christopher Lauer, hilflos für eine freiwillige Bezahlkultur. Eine zu Ende gedachte Kritik an der Warenförmigkeit der Wissensproduktion wäre aber tatsächlich ein Zeichen aus einer postkapitalistischen Zukunft. Doch das geforderte Grundeinkommen wird nicht als Demokratiepauschale konzipiert. Statt dessen diskutieren die »Sozialpiraten« Modelle, die Hartz-IV-Betroffene finanziell noch schlechter stellen würden.
Selbst ihr Transparenzfetisch führt nicht zu mehr Demokratie: In Zeiten der Postdemokratie, wo der Widerspruch zwischen der Idee der Demokratie und einer Politik, die nur noch »Sachzwänge« der Finanzmärkte exekutiert, offensichtlich wird, gilt es über die Verteilung des Reichtums und die Gefährdung der Demokratie durch ökonomische Macht zu reden. Darüber schweigen die Piraten, stattdessen erfreuen sich wirtschaftsliberale Ansätze bei ihnen großer Beliebtheit. So wird die als Mantra wiederholte Forderung nach Transparenz zum verzweifelten Wunsch devoter Bürger, selbige an sich selbst zu vollstrecken - das emanzipatorische Potenzial der »liquid democracy« verkommt zur basisdemokratischen App zur Selbstgeißelung.
Die Piraten sind also weder wissenskommunistisches Gespenst noch postpolitische Partei neuen Typus, sondern die gewöhnliche Partei einer aufstrebenden gebildeten Bürgerschicht der technischen Intelligenz. Wenn die politische Linke klug ist, kapert sie deren kapitalismuskritisches Potenzial und überlässt das postpolitische Residuum der FDP.
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