Warmlaufen für die EURO 2012
Kanzlerin Merkel erwägt, ihren Ministern von EM-Reisen abzuraten
Noch 38 Tage, dann wird im Warschauer Nationalstadion die EURO 2012 angepfiffen - die erste EM in Osteuropa, das größte Sportereignis, das je hier je ausgerichtet wurde, sowohl in Polen als auch in der Ukraine. Und wie erwartet wächst im Vorfeld des Turniers der politische Druck auf die Ukraine. Nach anfänglicher Empörung von Tierschützern über das bestialische Töten von Straßenhunden, die wenig Aufsehen erregen konnte, entzündet sich die Kritik nun vor allem an den Haftbedingungen der zu sieben Jahren Haft verurteilten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, die im Gefängnis in Hungerstreik getreten ist.
Seit dem Wochenende geistert das Wort Boykott durch die deutschen Massenmedien. Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« berichtete am Wochenende, die Bundeskanzlerin Angela Merkel erwäge, ihren Ministern zu empfehlen, den EM-Partien fernzubleiben, solange Timoschenko nicht freigelassen ist. Sigmar Gabriel (SPD) sagt in der Bild am Sonntag, »im Zweifelsfalle« solle »man da nicht hinfahren«. Im Deutschlandfunk verlangt Tom Koenigs, Menschenrechtspolitiker von den Grünen, Politiker und Fans sollten sich die EM-Spiele lieber im Fernsehen anschauen. Auch Politiker laufen sich warm vor den großen Matches.
Doch wessen Boykott könnte eigentlich für Aufsehen sorgen? Schafft das eine Ächtung durch Politiker aus dem Westen? Eine Verweigerung der Fans Europas? Oder besser der teilnehmenden Fußballverbände? Wie wäre es mit einer Weigerung der Profis zu spielen? Sicher ist: Ein Politikerboykott wäre derjenige mit den geringsten Auswirkungen. Ein paar Sitze blieben wohl frei auf der Ehrentribüne, oje, ein paar Sektkelche würden schal im VIP-Bereich. Präsident Wiktor Janukowytsch wütend sicher für ein paar Minuten durch die Gänge des Marienpalastes toben, aber sonst?
Ein Fernbleiben der Fans aus ganz Europa könnte im flächengrößten Staat des Kontinentes (nach Russland) da ganz sicher schwerer wiegen. Allerdings: Zugereisten Fußballanhängern ist die politische Situation im Land des Gastgebers zumeist schnuppe, im Gegensatz zu Hotelpreisen übrigens: Und die liegen in Kiew, Charkiw, Donezk und Lwiw noch immer in astronomischen Höhen. Eine Art Hotel-Embargo scheint eher im Bereich des Möglichen als ein politisches Statement der Anhänger.
So manchem Fan wird die Reiselust auch durch die Anschläge von Dnjepropetrowsk vergangen sein. In der südöstlichen Industriestadt waren vier Sprengsätze gezündet und Dutzende Menschen verletzt worden. Indes wird in der Heimatstadt des europaweit bekannten »FK Dnjepr Dnjepropetrowsk«, in der übrigens auch Julia Timoschenko geboren wurde, kein EM-Spiel stattfinden.
So blieben also nur noch die Fußballer selbst als Boykottierer übrig: Bayern-Präsident Uli Hoeneß äußerte sich gestern in dieser Richtung. Die UEFA als ausrichtender Verband hebt die Hände, sieht sich zur Neutralität verpflichtet. UEFA-Präsident Michel Platini erklärte jüngst in der »Welt«: »Natürlich ist es schwierig, wenn die politischen Verhältnisse instabil sind. Die Ukraine hat gerade den fünften Sportminister in fünf Jahren. Aber was sollen wir machen? Die EM nicht in Länder wie die Ukraine vergeben, weil nicht alles so gefestigt ist wie in westeuropäischen Demokratien? Das ist keine Lösung.« So hat ein jeder seine Logik. Und die Themen bis zum EM-Anpfiff sind gesetzt.
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