Haiti mit neuem Steuermann in schwerer See
Premierminister Laurent Lamothe soll den Weg aus der Krise finden
Regierungserfahrung hat er bereits: Die vergangenen zehn Wochen hat Laurent Lamothe kommissarisch die Regierungsgeschäfte Haitis geführt. Grund war der Rücktritt Garry Conilles Ende Februar, der nach Streitigkeiten mit Kabinettsmitgliedern das Handtuch warf. Nun darf Lamothe ganz offiziell weitermachen. Nach dem Senat stimmten dieser Tage in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince 62 der 99 Parlamentsmitglieder der Ernennung des 39-Jährigen zu.
Lamothe soll die anhaltende politische Krise beilegen. Zuerst muss er sein Kabinett besetzen und ein Regierungsprogramm ausarbeiten. Beides muss erneut die Zustimmung des Parlaments finden. Ein schwieriges Unterfangen, denn in den beiden Kammern verfügt Staatspräsident Michel Martelly über keine parlamentarische Mehrheit.
Lamothe hat in den USA Politikwissenschaften studiert und war später als Unternehmer in der Telekommunikationsbranche des Landes erfolgreich. Nach dem schweren Erdbeben im Januar 2010, bei dem rund 300 000 Menschen starben, wurde er in die Interimskommission für den Wiederaufbau Haiti berufen und gilt ebenso wie sein Vorgänger Conille als enger Vertrauter des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Haiti, Bill Clinton. Und ebenso wie sein Vorgänger steht er im Verdacht, neben der haitianischen auch die US-Staatsbürgerschaft zu besitzen, was führenden Mandatsträgern in Haiti nicht gestattet ist. Belege dafür konnte die Parlamentskommission, die seine Kandidatur prüfte, jedoch nicht finden. Während der vom haitianischen Fernsehen live übertragenden Sitzung beschuldigten mehrere Abgeordnete die Regierung außerdem, Parlamentsvertreter gekauft zu haben, damit sie für Lamothe stimmten.
Laurent Lamothe sagte im haitianischen Rundfunksender Radio Metropole, dass er seinen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Armut und den Wiederaufbau des Landes legen werde. Verstärkt werde er versuchen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung wieder herzustellen.
Staatspräsident Martelly ist inzwischen erneut in das Zentrum der Kritik geraten. Der ehemalige Karnevalsmusiker mit dem Spitznamen »Sweet Micky« steht im Verdacht, von Bauunternehmern aus dem dominikanischen Nachbarland mit Millionensummen geschmiert worden zu sein, um wunschgemäß lukrative Bauaufträge im Rahmen des Wiederaufbauprogramms zu vergeben. Die dominikanische Enthüllungsjournalistin Nuria Piera zeigte in ihrer Fernsehsendung »Nuria« Dokumente, die belegen sollen, dass Martelly von einem dem derzeitigen dominikanischen Staatspräsidenten Leonel Fernández nahestehenden Bauunternehmer während des Wahlkampfes und nach seiner Vereidigung insgesamt 2,5 Millionen US-Dollar erhalten hat. Die rechtskonservative Gegenkandidatin habe über 100 000 Dollar erhalten. Für Unruhe in Haiti bleibt also gesorgt.
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