Grundkurs Ilias

»Das trojanische Pferd« wird auf der Wiener Burg neu gesattelt

  • Urmgard Rieger
  • Lesedauer: 3 Min.
Homer für alle, die keine Bildungsbürger sein wollen: Dem Wiener Burgtheater gelingt ein amüsanter und erhellender Abend über die griechische Antike

.Apollon ist ein hüftschwingender DJ auf Koks, die schöne Helena hüpft verstört und im orangen Kleidchen durchs Geschehen und Achilleus zieht das iPad der entscheidenden Schlacht vor. Homers »Ilias« wird ganz schön durcheinandergewirbelt im Kasino des Wiener Burgtheaters im neuen Projekt des Burgchefs Matthias Hartmann. Das tut dem antiken Epos gut, die Schauspieler sind mit Energie dabei und der Funke springt auf das Publikum über bei der Premiere des Mammutprojekts »Das Trojanische Pferd« Anfang Mai.

Ein bisschen Koketterie muss sein. Der erste Auftritt gehört dem Direktor an diesem Abend, der Direktor ist der Regisseur, und der Regisseur erklärt, dass es auch für die Schauspieler eine Premiere sei an diesem Abend, denn es habe keine einzige Durchlaufprobe gegeben. Aber man habe eine Premiere versprochen, »und das werden wir auch halten«. Der Titel »Das Trojanische Pferd« verspricht eine Geschichte zumindest nach Homer, und auch dieses Versprechen wird eingelöst, obwohl es zunächst nicht nach klassischer Tragödie aussieht.

Was folgt, ist ein humorvoller, raffiniert konzipierter Grundkurs in Sachen Homer und Griechische Antike, nach Lehrplan des flämischen Theater-Erneuerers Jan Lauwers. Der ist mit seiner Needcompany seit der Spielzeit 2009/10 Artist in Residence an Hartmanns Burg und bescherte dem Wiener Publikum bereits weniger Geglücktes wie die Mediensatire »Die Kunst der Unterhaltung«, aber auch einen veritablen Geniestreich mit der Tolstoi-Bearbeitung »Krieg und Frieden«.

Der jetzt erarbeitete Homer-Ilias-Abend zeigt einerseits, wie harmonisch Teile des Burg-Ensembles mittlerweile mit der Needcompany und ihrer lapidar anarchischen Spielweise verschmolzen sind. Und er zeigt andererseits, wie verblüffend zuverlässig Lauwers theatralisches Kalkül aufgeht: Der Abend folgt seinem bekannten Strickmuster, verschiedene Perspektiven gleichzeitig auf die Bühne zu bringen, Pathos aufzubauen und wieder zu brechen, Spannungslinien zu entwickeln und gleichzeitig zu unterlaufen.

17 Schauspieler schlüpfen in 33 Rollen und erzählen in groben Zügen ein »Best Of« der Ilias. Das Urteil des Paris, der Raub der Helena, der Opfergang der Iphigenie - alles da, was an klassischer Bildung noch im Hinterkopf spukt. Aus dem gewaltigen Epos wurden zentrale Stellen, Personen und Motive isoliert, zum stimmigen Bild zusammenfügt.

Als einmal der Überblick verloren zu gehen droht, rückt die Zentralfigur die Dinge wieder zurecht: »Ist das die Ilias?« fragt ein verwirrt scheinender Agelaos, und zum Glück weiß der listreiche Odysseus (Philipp Hauß) auch hier Bescheid: »Ja, das ist Schrott. Raoul Schrott«, ergänzt er, und tatsächlich bekommt dessen umstrittene Neudeutung des Stoffes breiten Raum.

Starke Bilder entstehen im Lauf der viereinhalb Stunden in dem kargen Raum, in dem nur ein Teppich mit barockem Löwengrubenmotiv, ein paar Schaumstoff-Elemente und eine Galerie für das göttliche Personal als Kulissen fungieren.

Allein wie Christiane von Poelnitz ihre Klytämnestra am Opfergang der Iphigenie verzweifeln lässt, ist eine Geschichte für sich. Die Mutter will nicht glauben, dass sich die Tochter so leichtfüßig opfert, immer wieder packt sie das Mädchen, schultert sie, schleppt sie zurück, nur um wieder mit ansehen zu müssen, mit welcher Aufopferungsbereitschaft sich die Tochter wieder auf den Weg macht.

Ein Wechsel von solchen Soli und sattem Ensemblespiel macht den langen Theaterabend zu einer spannenden Reise in die Antike und ihre Deutungsmöglichkeiten.

www.burgtheater.at

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