Spuren verwischt

In Sachen Thälmann-Mord

  • Ronald Sassning
  • Lesedauer: 4 Min.
Es war der 14. August 1944. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler eilte mit einem Zettel in das ostpreußische Führerhauptquartier »Wolfsschanze«, um in einigen dringlichen Fällen die endgültige Entscheidung Hitlers einzuholen. Unter Punkt 12 stand der Name Thälmann. Es folgte dann der Eintrag: »Ist zu exekutieren.« Die NS-Presse setzte in Umlauf, dass bei einem alliierten Luftangriff auch Ernst Thälmann im KZ Buchenwald am 18. August 1944 ums Leben gekommen sei. Eine Lüge. Und doch ranken sich um Thälmanns Tod seit jeher Legenden. »Zeugenaussagen« stehen sich gegenüber. Es hieß sogar dereinst, Thälmann sei von Hitler selbst bzw. schon im Zuchthaus Bautzen getötet worden. Die Bestrebungen von DDR-Organen zur Verfolgung der Mörder eines der prominentesten Gefangenen des NS-Regimes unterlagen einem jahrzehntelangen Prozess-Marathon vor westdeutscher Justiz, letztlich fokussiert auf den Fall Otto. Der Gymnasiallehrer im Ruhestand Wolfgang Otto wurde vom Landgericht Düsseldorf am 29. August 1988 endgültig von der »Beihilfe zum Mord« freigesprochen. Der Freigesprochene hatte im KZ Buchenwald die Stufenleiter des Schreibers der Kommandantur, eines »Spießes« und »Exekutionsprotokollführers« erklommen. Aus Sicht der DDR-Klage galt der ehemalige SS-Stabsscharführer als einer der Hauptverantwortlichen bei der Ermordung Thälmanns. Eine andere »heiße Spur« blieb dagegen mehr oder weniger im Verborgenen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hatte umfangreiches Material zusammengetragen, das einen gewissen Pütz als Schreibtischtäter und eventuellen Vollstrecker schwer belastete. Nachdem man im Hause von Erich Mielke bereits Ende der 60er Jahre die Umstände der Verhaftung des KPD-Führers noch einmal untersucht hatte, erweckte die Aufklärung der Ermordung Thälmanns ebenfalls das Interesse des Ministers. Die Hauptabteilung IX/11 erarbeitete einen umfassenden Maßnahmeplan (29. August 1976). In zwei Ermittlungsdossiers (27. Mai 1975 und 14. April 1976, je 36 und 32 Seiten) wurde reichhaltiges Fakten- und Dokumentenmaterial zusammengestellt und eine spezielle Information am 20. April 1976 Mielke direkt zugestellt. Die Hauptabteilung IX alarmierte in einem Schreiben vom 15. Juli 1975 den Minister, dass eine »generelle« Veränderung der »Darstellung der Umstände der Vorbereitung und Durchführung der Ermordung Ernst Thälmanns«, wie sie sich im Entwurf der Thälmann-Biografie eines Autorenkollektivs des Instituts für Marxismus-Leninismus findet, notwendig sei. Diese stütze sich »im Wesentlichen auf die Aussagen der ehemaligen Häftlinge Marian Zgoda und Vladimir Spisar«, die »sehr widersprüchlich« seien. Auf eineinhalb Seiten wurde ein neuer Text vorformuliert: Im Frühjahr 1944 habe auf Befehl von Gestapochef Müller der SS-Hauptsturmführer und Kriminalrat Günther Pütz, leitender Kommunismus-Sachbearbeiter im Reichssicherheitshauptamt (Referat IV/ A1a), eine Vorlage für Himmler zur Liquidierung Ernst Thälmanns ausgearbeitet. Begründet wurde dies mit der Verschlechterung der Kriegslage insbesondere an der Ostfront und der »Gefahr«, die »im Falle der Entlassung oder Befreiung Thälmanns« entstehe. Auf Grund von Gerüchten und Aussagen hinsichtlich »geplanter Befreiungsaktionen« hatte das RSHA nach Absprache mit dem Reichsjustizministerium Anfang Juli den Befehl erteilt, den Gefangenen aus seiner Zelle 11 im Gebäude 1, 2. Etage des Zuchthauses Bautzen in das KZ-Buchenwald zu überführen. Dieses spezielle Mordkomplott war Teil einer »Überlebensstrategie« blutbefleckter Nazis für die Zeit nach dem Krieg. Gestapochef Müller verlangte, nicht die »Fehler von 1918« zu begehen und alle gegnerischen Führungskräfte rechtzeitig zu beseitigen. Der Gestapo war es gerade, im April und Juli 1944, gelungen, die Widerstandsgruppen der »Speyer-Kameradschaft« und des »Nationalkomitees "Freies Deutschland"« Dresden/Bautzen zu zerschlagen. Diese hatten in Zusammenarbeit mit Irma Thälmann in Singen und dem ehemaligen KPD-Sekretär Ostsachsens Kurt Sindermann Vorbereitungen für eine Befreiung Thälmanns eingeleitet. Nach dem Plan Anton Saefkows vom illegalen KPD-Zentrum in Berlin sollte der Parteivorsitzende in einem Wagen der schwedischen Gesandtschaft durch den befreundeten Fahrer Arne Karlsson nach Berlin gebracht werden. Die Ereignisse des 20. Juli 1944 waren dann Anlass, die Massenmordaktion »Gewitter« in Gang zu setzen, der auch Thälmann zum Opfer fiel. Als »Geheime Reichssache« wurde in einer außergewöhnlichen Sonderaktion eines Spezialkommandos des RSHA Thälmann am 17./18. August nach Buchenwald verbracht und in Komplizenschaft mit dort zuständigen SS-Funktionsträgern hinterrücks im Krematorium erschossen. Vielleicht hat sogar Drahtzieher Pütz - der übrigens für die Veröffentlichung der NS-Legende vom alliierten Bombentod Thälmanns und Breitscheids sorgte - selber die tödlichen Schüsse abgegeben. Pütz lebte bis zu seinem Tode 1969 unbehelligt in der BRD. Der DDR-Prozessbevollmächtigte Friedrich Karl Kaul machte die Kölner Oberstaatsanwaltschaft erst 1976 auf ihn aufmerksam. Im August 1975 hatte Mielke entschieden, dass im Fall Thälmann-Mord 23 Personen »weiterbearbeitet« werden sollten, darunter Pütz, Otto jedoch nicht, der sich - wie Günter Wieland, einst zuständig für die zwischenstaatliche Rechtshilfe bei der Ahndung von Naziverbrechern, bestätigt - zweifelsohne einer Tatbeteiligung schuldig gemacht hat. Mielke wies auch an, dass die Ermittlungen gegen den aufgespürten 2. Buchenwalder SS-Obersturmführer Erich Gust, späterer Prominentengastwirt »Giese« bei Oldenburg, nicht weitergeleitet und eingestellt werden sollten. Warum diese fatale Spurenverwischung? Von unserem Autor erscheint ein Aufsatz zur Thälmann-Legende im demnächst bei Militzke herauskommenden 2. Band der »Schlagwörter und Schlachtrufe«.

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