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»Wir werden demonstrieren!«
Zwei Angriffe dauern auf europäischer Ebene im Zuge der Finanzkrise mit unverminderter Heftigkeit an. Bei beiden wird die absolute Unterordnung unter die Anlegerinteressen der globalen Finanzmärkte vor allem durch die deutsche Regierung unter Angela Merkel als einzige Lösung verkauft. In Deutschland war die rot-grüne Agenda 2010 die Speerspitze der Sozialkürzungen, Privatisierungen und Steuersenkungen. Jetzt folgt die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission europaweit derselben neoliberalen Ideologie. Unverhohlen wird die Zerstörung ganzer Volkswirtschaften und tiefgreifende Verarmung und Verelendung großer Bevölkerungsteile Südeuropas bewusst in Kauf genommen.
Der zweite großflächige Angriff wird gegen die Demokratie selbst geführt. Mit dem ESM wird ein neues Direktorium über den nationalen Parlamenten installiert. Der noch nicht verabschiedete Fiskalpakt droht zudem jedem EU-Staat mit dem Zwangsverwalter. Die Vorstellung eines parlamentarisch-demokratischen Staatswesens wird damit komplett entkernt. Zurück bleibt die leere Hülle einer Scheindemokratie - europaweit. In diesem zusätzlichen Angriff auf die Demokratie liegt aber auch eine Chance. Im demonstrativen Widerstand gegen das Spardiktat und die Kürzungsorgien müssen jetzt die politischen Grundrechte nicht nur neu erkämpft, sondern auch erweitert werden. Der entkernten Scheindemokratie wird dann ein kräftiges »Echte Demokratie jetzt!« entgegengesetzt.
Dieser Idee folgen auch die Blockupy-Proteste in Frankfurt. Mitten im Bankenviertel wird am Sitz der EZB gegen das Spardiktat von Troika und Regierung gecampt, getanzt, blockiert und demonstriert. Die Behörden reagierten mit einer Verbotsorgie. Polizei und Stadt zeichneten ein Bürgerkriegsszenario und erließen pauschale Totalverbote. Ohne Not setzte sich die Stadt sogar kurzfristig in einen finsteren Kontext, indem sie zeitweise die Kranzniederlegung der Frankfurter Jusos für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus verbot. Wie unabsichtliche Ironie wirkte das Verbot der Versammlung für das uneingeschränkte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit am Donnerstag an der Frankfurter Paulskirche. Die Protestierenden gingen trotzdem zu diesem für die Demokratie symbolträchtigen Ort. Sie schlugen ihre Zelte auf wie die Bewegungen am Tahir- und Syntagmaplatz oder auf der Puerta del Sol.
Der Staat setzte überhaupt auf andere Symbole, marschierte in einer Hundertschaft Polizeikräfte direkt vor der Paulskirche auf und beschlagnahmte Grundgesetze, die Attac-Aktive verteilten und hochhielten. Das von der Polizei erteilte Totalverbot »jeder politischen Meinungsäußerung - besonders der Zelte« für vier Tage im kompletten Innenstadtbereich erschien so absurd, dass es die Blockupy-Aktiven zu Recht für ungültig erklärten.
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wurde in diesen Tagen erneut auf der Straße erkämpft. Mit einem vielfältigen Protest nahmen sich die Blockupy-Aktiven das, was ihnen als Menschenrecht zusteht. Heute finden die Proteste mit der internationalen Großdemonstration zur EZB ihren Höhepunkt. Die Polizei hat zwar schon angekündigt, dass erneut ein Verbot droht, sie steht aber durch die Medienberichterstattung unter Druck. Die Antwort der Blockupy-Aktiven wurde in den letzten Tagen hinreichend unter Beweis gestellt: »Wir werden demonstrieren!«
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