Offener Wahlausgang in Ägypten
Doch wer auch immer neuer Präsident wird - noch haben die Generale bei allem das letzte Wort
Die Schule fällt aus, kündigte das Bildungsministerium an. Am heutigen Mittwoch und am Donnerstag, wenn in Ägypten die ersten Präsidentschaftswahlen seit dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 stattfinden, sollen die Ägypter nur eines tun: wählen gehen.
Am Dienstagmorgen stehen Panzerfahrzeuge auf dem Tahrir-Platz, über Lautsprecher rufen Soldaten die Passanten auf, zur Wahl zu gehen. Im Internet meldet sich der Oberste Militärrat, der seit dem Sturz des letzten Präsidenten über das Land herrscht, zu Wort. »Wir Ägypter müssen das Ergebnis der Wahl akzeptieren«, heißt es dort, »denn diese Wahlen spiegeln die Wahl des freien ägyptischen Volkes, das seinen eigenen Präsidenten wählt«.
An Öffentlichkeit mangelt es den Wahlen keineswegs: Seit Wochen dominiert die Frage, wer neuer Präsident wird, die Medien. Zu schreiben gab es genug. Die Vorbereitung der »ersten demokratischen Präsidentschaftswahl«, wie sie das herrschende Militär und auch das Ausland gern nennen, lief alles andere als glatt. Im März 2011, kurz nach Mubaraks Rücktritt, ließ das Militär über einen »Fahrplan zur Demokratie« abstimmen: Das Militär übernimmt kommissarisch die Macht, Parlamentswahlen im September, Präsidentschaftswahlen bis Ende 2011, dann Übergabe der Macht an eine neue zivile Regierung.
Daraus ist nichts geworden: Bis Ende November nach zahlreichen Verschiebungen die Parlamentswahlen begannen, hatte sich das Militär, das seit über 50 Jahren im Hintergrund die ägyptische Politik bestimmt, fest als neues Machtzentrum installiert - und versucht weiterhin, die durch die Revolution hochpolitisierte Jugend mit Ausnahmegesetzgebung, Zensur, Folter und massenweisen Verurteilungen vor Militärtribunalen unter Kontrolle zu bekommen. Die Parlamentswahlen von November bis Januar waren begleitet von heftigen Protesten gegen den Militärrat, weit über 100 Menschen starben. Der Rat selbst kündigte an, die Präsidentschaftswahlen, die inzwischen auf 2013 verschoben waren, vorzuziehen: Am 23. und 24. Mai wird gewählt, am 16. und 17. Juni findet die eventuelle Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten statt.
Das Parlament dominieren heute die islamisch ausgerichteten Parteien, die nach der Revolution zu Verbündeten des Militärs wurden, allen voran die Muslimbrüder und die radikal-islamische »Partei des Lichts«. Doch das Bündnis bröckelt: Die islamischen Parteien mussten nach der Wahl feststellen, dass der Militärrat, der ihnen durch eine passende Zeitplanung und Wahlgesetzänderungen zur Mehrheit im Parlament verholfen hat, keineswegs bereit ist, die Macht abzugeben. Bis heute hat das Parlament keinerlei Befugnisse: Es kann ohne Zustimmung des Militärrates kein Gesetz beschließen, den Haushalt nicht einsehen, die Regierung ist nach wie vor vom Militärrat eingesetzt und von dessen Befehlen abhängig. Stattdessen hat das Militär begonnen, vor einem »islamistischen Putsch« zu warnen - durch die Presse geistern Warnungen, die »Islamisten«, die jetzt schon das Parlament dominieren würden, wollten Ägypten in eine islamistische Diktatur verwandeln und die Armee benutzen, um »religiöse Kriege« zu führen.
Im April disqualifizierte der Oberste Wahlrat zehn Präsidentschaftskandidaten, darunter die drei aussichtsreichsten. Dazu gehörte neben dem Kandidaten der Muslimbrüder, die vorsichtshalber noch einen zweiten aufgestellt hatten, der Kandidat der Salafiten, Hazem Salah Abu Ismail. Dieser wurde ausgeschlossen, weil seine verstorbene Mutter auch die US-Staatsbürgerschaft besessen hatte - ein Präsident müsse jedoch »reinen ägyptischen Blutes sein«.
Wütende Anhänger Ismails begannen daraufhin, zunächst auf dem Tahrir-Platz, dann vor dem Verteidigungsministerium im Kairoer Stadtteil Abbasiyya zu protestieren, der auch Sitz des Militärrates ist. Ihnen schlossen sich Jugendbewegungen an, die fürchten, der Militärrat werde auch nach den Wahlen die Macht nicht abgeben.
Am 4. Mai stürmte das Militär das Protestcamp, das dort entstanden war, und nahm Hunderte Protestierende fest, darunter bekannte Menschenrechtsaktivisten. Einzelne Freigelassene berichten von brutaler Folter. Weite Teile der Jugendbewegungen ebenso wie Teile der Salafiten rufen seither zum Boykott der Präsidentschaftswahlen auf - und fürchten eine Manipulation der Wahl.
Die Umfragen sind unzuverlässig und gehen weit auseinander, ein Großteil der Wähler war bis zuletzt noch unentschieden - über den Ausgang der Wahl wagen selbst Experten keinerlei Prognose. Seit Wochen haben zwei gemäßigte Kandidaten die Liste der Favoriten angeführt: Außenpolitiker Amr Moussa, Ex-Chef der Arabischen Liga, und der Ex-Muslimbruder Abdel Moneim Abul-Fotouh. Eine Woche vor der Wahl lag auf einmal Ahmed Shafiq in mehreren Umfragen vorn - den Luftwaffen-Marschall Shafiq hatte Mubarak noch während der Revolution zu seinem Premier gemacht, er musste kurz nach Mubarak aufgrund heftiger Proteste gehen. Er ist ein Mann des Militärs, nicht der Revolution. Wenn Shafiq gewinnt, sagt ein junger Protestierender, dann sind die Wahlen gefälscht. Doch wer immer Präsident werde sollte - es bleibt fraglich, wieviel Macht er tatsächlich haben wird - und ob nicht weiterhin das Militär regiert.
Die verfassungsgebende Versammlung, die noch vor der Wahl eine neue Verfassung ausarbeiten sollte, wurde im April von einem Gericht aufgelöst. Einen neuen Zeitplan gibt es noch nicht. Der Militärrat hat vor wenigen Tagen angekündigt, noch vor dem Ende der Wahl nun eine eigene Verfassung zu verkünden, die übergangsweise gelten soll. In liberalen Zeitungen kursieren erste Informationen: Wenn sie stimmen, wird der Militärrat dauerhaft die »vierte Macht« im Staat. Der Militär-Etat und sämtliche das Militär betreffenden Entscheidungen bleiben geheim, der Militärrat entscheidet über den Kriegsfall, die Befugnisse der Parlaments bleiben minimal. Die Ernennung des neuen Präsidenten wird die angespannte Lage in Ägypten kaum beruhigen - Ägypten stehen wohl noch viele Proteste bevor.
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