Sagen die Iren Ja zum Sparen?
Irlands Bürger tendieren zum Fiskalpakt - bei einem Nein gäbe es keine EU-Hilfen mehr
Europa weiß inzwischen, wie ernst es die irischen Wähler nehmenmuss. Vor elf Jahren lehnte Irland den Vertrag von Nizza ab und stürzte die EU in eine Krise. Die Regierung ließ ihre Bürger nachsitzen; bei der zweiten Abstimmung stimmten sie zu. Diesmal wäre ein Nein nicht so leicht zu korrigieren.
Zwar könnte der Fiskalpakt ohne eine Ratifizierung durch Irland in Kraft treten - dazu genügt die Ratifizierung durch zwölf der 25 Staaten, die ihn unterzeichnet haben. Aber er wäre geschwächt, bevor er auch nur in Kraft tritt. »Es ist das einzige Mal, dass Bürger über den Fiskalpakt abstimmen. Ein Nein würde ihn extrem beschädigen«, sagt denn auch Hugo Brady, Forscher am Centre for European Reform, einer proeuropäischen Denkfabrik in London. »Es würde den Investoren signalisieren, dass der Pakt auch in anderen Ländern nicht von den Bürgern unterstützt wird.« Damit würde das Gefühl verstärkt, dass die Sparpolitik zunehmend auf Widerstand stößt. Derzeit sieht es allerdings nicht schlecht aus für den Fiskalpakt. In einer Umfrage der »Irish Times« vom Samstag stimmen ihm 39 Prozent der Befragten zu. 30 Prozent lehnen ihn ab. 31 Prozent sind unentschieden oder wollen sich enthalten.
Irland hängt am Tropf der ausländischen Hilfe. Die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben 2010 insgesamt 85 Milliarden Euro gewährt. Der irische Staat, der bis dahin die Maastricht-Kriterien zur öffentlichen Verschuldung eingehalten hatte, übernahm sich 2008/2009 mit der Rettung seiner Banken. Es ist unwahrscheinlich, dass die bisherige Hilfe reichen wird. Doch zusätzliche EU-Mittel gibt es nur, wenn das Land den Fiskalpakt ratifiziert. »Wir sind bis Ende 2013 finanziert«, sagte Irlands Ministerpräsident Enda Kenny am Samstag. »Ein Ja zum Pakt garantiert den Zugang zur Hilfe auch danach. Ein Nein verhindert das.« Am Sonntag legte er in einer Fernsehansprache nach. Die Zustimmung zum Pakt würde wieder Sicherheit für Investoren bringen und damit Arbeitsplätze schaffen.
Die Kritiker, angeführt von der linksrepublikanischen Sinn Féin, sehen das anders. Wenn das Volk den Pakt ablehnt, müssten die deutschen und britischen Banken ihre irischen Staatsanleihen einfach abschreiben. Eine Annahme des Paktes dagegen würde zu weiteren Sparmaßnahmen zwingen, welche die Arbeitslosigkeit erneut in die Höhe trieben.
Sinn Féin, die in der Irischen Republik lange ein Schattendasein geführt hat, reitet mit diesen Argumenten derzeit auf einer Erfolgswelle. In den neuesten Umfragen erreicht sie mit 24 Prozent den zweiten Platz hinter Fine Gael von Ministerpräsident Kenny mit 32 Prozent. Die mitregierende Labourpartei, die mit Sinn Féin um linke Wähler konkurriert, aber den Fiskalpakt unterstützt, fällt auf zehn Prozent.
Die Haltung der Wähler zum Pakt scheint stark von ihrer eigenen sozialen Stellung abzuhängen. Die Mittelschicht dürfte im Pakt das einzige Mittel sehen, die Wirtschaft wieder voranzubringen. »Wir werden wohl wieder ein Rettungspaket brauchen«, sagt Graham Parker. Der 32-Jährige lebt in Clongriffin, einem der besseren Vororte Dublins. »Wenn wir Brüssel vor den Kopf stoßen, wird das nicht helfen.« Auch Tom Cleary, der in einem Tourismusunternehmen in Dublin arbeitet, sieht den Pakt als die wirtschaftlich bessere Lösung. Ein Nein im Referendum würde den zaghaften Aufschwung stoppen.
Die Mehrheit der Arbeiter scheint es anders zu sehen. »Die Regierung kümmert sich nur um die reichen Banker«, sagt Joe Redmond, Pfleger in einem Krankenhaus. »Mein Lohn ist um fast tausend Euro im Monat gefallen, weil keine Überstunden mehr möglich sind. Jetzt soll ich für ein System stimmen, in dem Europa uns das Budget vorschreibt und verhindert, dass ich jemals wieder mehr verdiene.« Andere lehnen den Pakt ab, solange nicht auch die reichen Investoren zur Kasse gebeten werden. »Ich habe nichts Unvernünftiges vor der Krise getan«, sagt Teresa McNulty, Angestellte eines Ingenieurunternehmens. »Die Regierung hätte zuerst diejenigen zur Kasse bitten müssen, die den Banken Geld gegeben haben.«
Fiskalpakt
Welche Länder beteiligen sich?
Von den 27 EU-Ländern beteiligen sich nur Großbritannien und Tschechien nicht an dem Abkommen. Die nationale Ratifizierung ist nach der bereits Anfang März erfolgten Unterzeichnung nun der nächste Schritt. Griechenland, Portugal, Slowenien und Rumänien haben den Pakt bereits ratifiziert.
Was beinhaltet der Fiskalpakt?
Schärfere Budgetdisziplin: Das strukturelle - also das von der Konjunkturentwicklung unabhängige - Defizit darf die Grenze von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht mehr überschreiten. Sonst werden Strafverfahren ausgelöst, die nur durch ein Mehrheitsvotum der Unterzeichnerstaaten gestoppt werden können. Abweichungen sind nur für Länder erlaubt, deren Gesamtverschuldung »deutlich unter 60 Prozent« der Wirtschaftsleistung liegt. Pflicht zur Schuldenbremse: Wird keine Schuldenbremse im nationalen Recht verankert, droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Der kann eine Geldbuße von bis zu 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verhängen. Die Strafgelder der Euro-Staaten würden an den künftigen Euro-Rettungsfonds ESM gehen, die anderer Staaten in den EU-Haushalt.
Wie sieht es in Deutschland aus?
Bundestag und Bundesrat müssen dem Fiskalpakt mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) braucht daher auch Stimmen aus der Opposition - die stellt Bedingungen. Die SPD will etwa, dass parallel zu dem Pakt ein umfangreiches Wachstums- und Beschäftigungsprogramm aufgelegt wird. Ähnliches fordern die Grünen.
Welche Forderungen stellt Frankreich?
Der französische Präsident François Hollande will den Fiskalpakt in seiner jetzigen Form nicht ratifizieren, sondern um ein Wachstumsprogramm ergänzen.
Wie sieht es in den restlichen Unterzeichnerstaaten aus?
In den übrigen Ländern werden bisher keine Probleme bei der Ratifizierung erwartet. In Schweden und Dänemark sowie in Spanien, Italien und Polen soll die Ratifizierung noch vor der Sommerpause abgeschlossen sein. Ziel ist, dass der Vertrag zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt.
AFP/nd
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