Glauben ist Privatsache

Kommentar von Fabian Lambeck

  • Lesedauer: 2 Min.

Jetzt haben wir endlich Klarheit. Nachdem der von Springer gestürzte Ex-Bundespräsident Christian Wulff zur Verwirrung vieler Deutscher erklärt hatte, dass der Islam durchaus zu diesem Land gehöre, erfolgte nun die Richtigstellung durch seinen Nachfolger, den ehemaligen Pfarrer Joachim Gauck. Der Rostocker räumt zwar ein, dass Muslime in Deutschland leben und deshalb wohl auch hierher gehören, ihre Religion jedoch nicht. Denn den Islam, so Gauck, hätten Reformation und Aufklärung bis heute kaum erreicht. Diese Aussage ist gleich in mehrerer Hinsicht falsch: Zum einen gab und gibt es durchaus reformatorische Bewegungen im Islam. Der Theologe Gauck müsste zudem in seinem Studium gelernt haben, dass viele der griechischen und römischen Klassiker, die Aufklärung und Reformation erst inspirierten, für das christliche Abendland eigentlich längst verloren waren. Die Kirche legte jahrhundertelang keinen Wert auf antike Denker. Erst der Wissenstransfer aus der islamischen Welt sorgte für eine Wiederentdeckung der Klassiker im Mittelalter. Damit wurden die geistigen Grundlagen für unser »abendländisches Weltbild« gelegt.

Was aber noch schwerer wiegt, ist Gaucks Behauptung, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Natürlich tut er das. Genauso wie Judentum, Buddhismus, Hinduismus und das Recht, an keinen Gott zu glauben. Eine der großen Errungenschaften der Aufklärung, die Gauck hier zur Rechtfertigung heranzieht, ist doch die strikte Trennung von Kirche und Staat.

Die Bundesrepublik ist, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, ein Einwanderungsland. Viele Migranten bringen ihren Glauben mit und praktizieren ihn teilweise auch in der zweiten oder dritten Einwanderergeneration. Damit sich niemand von diesem Staat diskriminiert fühlt, muss er streng säkular verfasst sein. Glauben ist Privatsache: An diese Maxime sollten sich auch Vertreter christlicher Kirchen halten. Die Bundesrepublik sollte sich endlich vollständig säkularisieren. Vielleicht ist es Zeit für eine grundlegende Debatte über Religion im öffentlichen Raum. Kirchenvertreter haben in den Kontrollgremien öffentlich-rechtlicher Medien ebenso wenig zu suchen wie ehemalige christliche Prediger an der Spitze des Staates.

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