Lieber Genossenschaftsanteile als Mieterhöhungen
Der Merseburger Hartmut Aust ist in die TLG-Genossenschaft eingetreten und wirbt auch in seiner Nachbarschaft für das Projekt
Anfang der Woche hatte Hartmut Aust Post. Sein Vermieter teilt ihm mit, dass er verkauft wird. »Wie sie sicher der Presse entnommen haben«, wolle die Bundesrepublik die TLG Wohnen GmbH privatisieren. Es werde nun »spekuliert«, was das für die Mieter bedeute. Tenor des zweiseitigen Briefs: Nicht viel. Mietverträge bleiben bestehen, die Wohnungen gehören weiterhin der TLG. Nur, dass diese einen neuen Gesellschafter erhält, der mit dem Verkauf auch die »unternehmerische Führung« übernimmt.
Aust war nicht überrascht: Der 59-jährige frühere Möbelträger hat bereits vor vier Wochen erfahren, dass die TLG veräußert wird - von Journalisten. Kurz darauf hatte er schon einmal einen Brief im Kasten. Absender: Die »TLG FairWohnen i.G.« Es handle sich, warnt mit einiger Verzögerung nun die bundeseigene TLG GmbH, dabei »nicht um Ihren Vermieter«, man stehe in »keinerlei rechtlicher Beziehung«. Aust weiß das: Er ist Mitglied der »FairWohnen i.G.« Sie ist nicht sein Vermieter - aber will es werden. Die Genossenschaft bietet mit um die 11 500 Wohnungen in 42 ostdeutschen Städten, die noch zur Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) gehören. Das Viertel, in dem Aust in Merseburg wohnt, gehört zu den größten Standorten; 1400 Wohnungen, die in den 50er Jahren für das Buna-Chemiewerk gebaut wurden.
Hartmut Aust war kein Chemiewerker; er ist erst 1997 in seine 55 Quadratmeter große Wohnung gezogen. Zwei Jahre später wurde teilweise saniert; Fenster und Heizung sind neu, der Fußbodenbelag ist es nicht. Auch die geschwungene Treppe im Hausflur hat altmodischen Charme. Möbel, sagt Aust aus Erfahrung, »möchte man da nicht heruntertragen«.
Will er auch nicht; er wolle »bis zum letzten Atemzug hier drinbleiben«, erklärt Aust, der wegen kaputter Gelenke seit drei Jahren Invalidenrentner ist. Das Haus gefällt ihm, seiner Frau und dem Kater; der Garten ist vom Fenster aus zu sehen. Nicht zu vergessen: Die Miete ist mit 365 Euro erträglich.
Ob das nach einem Verkauf der TLG so bliebe, ist unklar. Wenn ein Immobilienfonds zum Zuge käme, der auf Gewinn orientiert ist, dürften die Mieten steigen: »20 Prozent sind erlaubt«, weiß Aust, der Mitglied im Mieterschutzbund ist. Daran wird auch die versprochene Sozialcharta wenig ändern. Von Problemen, die er aus »Gruselberichten« über Wohnungsverkäufe an eher obskure Immobilienfirmen kennt, redet Aust noch gar nicht.
Die Gründung einer Genossenschaft, mit der sich nicht zuletzt die TLG-Mieter selbst um den Kauf ihrer Wohnungen bewerben, findet Aust vergleichsweise sympathisch: »So verkehrt ist die Idee doch gar nicht«, sagt er. Er verspricht sich davon, bei Modernisierungen oder in Fragen der Miethöhe mitreden zu können.
Das hat freilich einen Preis: Die Genossenschaft braucht Geld, will sie im Bieterverfahren zum Zug kommen und die Wohnungen bewirtschaften. Zunächst müssen Mitglieder zehn Anteile zu je 51,13 Euro erwerben, später einen Anteil je Quadratmeter Wohnfläche - Aust würde das 2812,15 Euro kosten. »Eine ganz schöne Summe«, sagt Aust, der Rente erhält und dessen Frau einen Ein-Euro-Job hat. Selbst für die Mindestanteile und die Eintrittsgebühr von 105 Euro musste er Ratenzahlung vereinbaren: Zwei Jahre lang muss er 25 Euro abknapsen. Die Eintrittskosten, darüber hat Aust keine Illusionen, werde er im Fall des Scheiterns der Bewerbung kaum wiedersehen; das sei, sagt er lapidar, eine Art »Wirtschaftsgeld« für die neue Genossenschaft.
Ob diese zum Zuge kommt, hängt auch davon ab, ob genügend Mieter sich für die Idee begeistern. In Austs Nachbarschaft ist das Echo bisher verhalten; viele vertrauten darauf, dass sich auch ein neuer Vermieter an die Regeln hält. Aust nennt das »naiv« und hält den Brief der TLG vom Wochenbeginn für einen unlauteren Versuch der Einschüchterung. Er freilich ist nicht der Typ, der sich einschüchtern lässt. Statt dessen rührt er die Werbetrommel. Eine Nachbarin hat er schon überzeugt.
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