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Wie ist die Stimmung im AKW-Leitstand?

Russische Atomenergiebehörde will die Psyche der Kraftwerksmitarbeiter genau überwachen

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 2 Min.
Russlands Atomenergiebehörde Ros-atom will die seelische Befindlichkeit des Bedienungspersonals in Atomkraftwerken kontrollieren - und suggeriert dadurch mehr Sicherheit.

Eine neue Kontrolltechnik soll ab Herbst auch kleinste Stimmungsschwankungen des Personals in russischen Atomkraftwerken festhalten. Wie die Tageszeitung »Iswestija« berichtete, soll die neue Technik selbst kleinste, vom menschlichen Ohr nicht mehr wahrnehmbare Veränderungen der Stimmlage registrieren und in ein Computerprogramm eingeben. »Je höher und lauter eine Stimme, um so höher auch die emotionale Beteiligung«, erklärte der leitende Mitarbeiter der Abteilung »Psychophysiologie und Optimierung am Arbeitsplatz von Administratoren« der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wadim Guschin. Ein weiteres Gerät solle Schwankungen der Aura an den Gliederknöcheln im Bereich der Fingernägel messen, die bei Erregung Bruchstellen zeigen. Ebenfalls eingespeist werden Daten einer Kamera, die Augenbrauen, Mundwinkel und Backenknochen der Atomarbeiter beobachtet. Infrarotkameras und Detektoren, die kleinste Vibrationen dokumentieren, vervollständigen das Bild.

Das Computerprogramm soll durch ständigen Datenabgleich in Echtzeit über den momentanen seelischen Zustand jedes Mitarbeiters in den Leitstellen der Atomkraftwerke informieren, das Verhalten prognostizieren und Empfehlungen zum Umgang mit dem Personal erstellen, so die »Iswestija«. Die Atombehörde Ros-atom, die auch für die Kontrolle und den Betrieb der AKW zuständig ist, brauche diese genauen Kontrollen, um seine Objekte vor Bedienungsfehlern zu schützen, berichtet der Leiter des Zentrums für Spezialforschungen, Michail Winogradow. »Auch ein psychisch ausgeglichener Mitarbeiter kann kurzzeitig Stimmungsschwankungen ausgesetzt sein, z.B. bei einem Streit in seiner Familie. In so einem Fall muss man diesen Mitarbeiter sofort auswechseln.«

Sergej Charitonow, der 27 Jahre lang im Atomkraftwerk Leningradskaja bei St. Petersburg arbeitete, bis er im Jahr 2000 wegen Kritik an Sicherheitsmängeln entlassen wurde, hält die Pläne für »absoluten Unsinn«. Menschen seien doch keine Roboter und ließen sich nicht vollständig kontrollieren, so Charitonow, der auch nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 dort als »Liquidator« eingesetzt war, gegenüber »nd«. Wir alle seien ständig Stimmungsschwankungen unterworfen. Anders als bei Untersuchungen mit einem Lügendetektor seien Atomkraftwerksmitarbeiter ständig in Bewegung und Anspannung. »Rosatom ist doch überhaupt nicht daran interessiert, Bedingungen in den AKW zu schaffen, die menschliche Fehler ausschließen könnten. Wie sonst ist zu erklären, dass Arbeiter mit einem Alkoholproblem nicht entlassen werden, andere Mitarbeiter, die den Vorgesetzten und der Presse über Sicherheitsprobleme berichtet haben, aber gehen müssen?«

Hinzu komme, dass die Atomwirtschaft unter ständigem Fachkräftemangel leide. Da sei es gar nicht so einfach, gestresste Mitarbeiter kurzfristig auszutauschen. Viele Programme, die angeblich die Sicherheit der Kraftwerke garantieren sollen, hätten doch nur zwei Aufgaben: die Wünsche korrupter Manager befriedigen und der Gesellschaft vorspielen, dass die Sicherheit der Kraftwerke ständig verbessert würde, so der St. Petersburger Kritiker.

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