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Vom Tiger zum Bettvorleger

Der gute alte Club of Rome

  • Lesedauer: 8 Min.
Niko Paech, außerplanmäßiger Professor an der Universität Oldenburg, vertitt den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt und ist Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ). In seinem gerade erschienenen Buch »Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie« (Ökom-Verlag) beleuchtet er kritisch das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit.
Niko Paech, außerplanmäßiger Professor an der Universität Oldenburg, vertitt den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt und ist Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ). In seinem gerade erschienenen Buch »Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie« (Ökom-Verlag) beleuchtet er kritisch das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit.

Vierzig Jahre nach Erscheinen des ersten Berichts an den Club of Rome im Jahr 1972 geht erneut das Gespenst der Wachstumskritik um. Nicht auf Samtpfoten, sondern wie ein lärmender Poltergeist verschafft sich abermals die Auffassung Gehör, dass wachsender Wohlstand unvereinbar mit dem Schutz ökologischer Lebensgrundlagen ist. Zwischenzeitlich war es diesbezüglich mucksmäuschenstill gewesen. Doch blicken wir zurück.

Die in den frühen Siebzigern begonnene, zunächst noch wachstumsskeptische Umwelt- oder Ökologiediskussion wurde keineswegs allein durch die Studie des Teams um Dennis Meadows ausgelöst. Erinnert sei an andere Klassiker dieser Zeit, welche aus heutiger Sicht bei weitem aktueller als der erste Club of Rome-Bericht sein dürften. Bereits 1971 pulverisierte Nicolas Georgescu-Roegen mit seiner brillanten Verbindung zwischen Entropy und ökonomischer Entwicklung jede langfristige Wachstumshoffnung. In Gegensatz zu diesem starken, zudem theorielastigen Tobak wusste Ernst Friedrich Schumachers »Small is Beautiful« (1973) ein breites Publikum anzusprechen. Dies verdankte sich nicht zuletzt der positiv gestimmten Vision eines Glücks, das sich aus »Selbstbegrenzung« (Ivan Illich 1973) speist. Vorangegangen waren die Publikationen des Österreichers Leopold Kohr aus den Fünfzigern und frühen Sechzigern. Schon hier wurde eine Ökonomie des menschlichen Maßes als Antithese zu Wachstum und Entgrenzung derart plausibel dargelegt, dass man sich heute fragen könnte: Kann es sein, dass wir schon mal weiter waren?

Dennoch, im Laufe der Siebziger kippten die Reaktionen auf das Szenario der Wachstumsgrenzen nach und nach in einen Kanon fortschrittstrunkener Beschwichtigungen. Aus der Wachstumsfrage wurde bald ein Wachstumsausrufezeichen, wenngleich mit grüner Lackierung. Es komme nämlich darauf an, so die Protagonisten des frisch erfundenen »qualitativen« Wachstums, was von den vielen Dingen, die in das Bruttoinlandsprodukt einfließen, am Ende wächst. Gibt es nicht auch immaterielle Güter wie Dienstleistungen und Wissen, mit denen sich Geld verdienen lässt und die der Umwelt nichts zuleide tun? Oder besser noch: Warum nicht in Umweltschutzmaßnahmen investieren, damit die monetäre Wertschöpfung steigt und zugleich die Ökosphäre gestreichelt wird?

Solche Blütenträume erfreuten sich enormer Beliebtheit, was nicht allein im Fortschrittsglauben, dem mentalen Antrieb der Moderne schlechthin, begründet ist. Hinzu kommt, dass eine stetig wachsende Verteilungsmaße den sozialen Kit bildet, der komplexe Gesellschaften zusammenhält. Schickliche Alternativen zu dieser expansiven, aber umso bequemeren Form der Zivilisierung und Friedensstiftung sind leider Mangelware (geblieben). Umso erfreulicher, von der Front grüner Wachstumsoptimisten Alibihilfe für das Weiter-so zu bekommen. Die Nachhaltigkeitsvorstellungen des Brundlandt-Reports (1986) und der Agenda 21 (1992) atmen diese schönste aller Welten - Reichtum, soziale Gerechtigkeit und ein ökologisch reines Gewissen - durch alle Poren. In den neunziger Jahren und dem darauffolgenden Jahrzehnt tobte sodann ein grotesker Überbietungswettbewerb an Genuss-ohne-Reue-Versprechungen, die jeweils für sich in Anspruch nahmen, dasselbe technische Kunststück vollbringen zu können: vermittels umwelttechnischer Innovationen die Wirtschaft weiter wachsen zu lassen und gleichzeitig die Ökosphäre zu entlasten. »Doppelter Wohlstand - halber Naturverbrauch«, eine Dematerialisierung der Wertschöpfung um den »Faktor 10«, eine ökologische »Wachstumsmaschine«, ein freundlicher »Ökokapitalismus« oder eine komplexe Kreislaufwirtschaft, die jeglichen Abfall in Nahrung verwandelt sind nur einige der Füllhornkonzeptionen. Der damit harmonierende kulturelle Wandel sollten Verzichtsbotschaften der Ökos den Garaus machen, ihnen gar eine »Lust auf Luxus« entgegensetzen. Technischer Fortschritt, der das vorherrschende Konsummodell von ökologischen Schäden entkoppelt, macht’s möglich: Niemandem muss der Umwelt zuliebe Sparsamkeit zugemutet werden.

Das augenscheinliche Problem der weiterhin rumorenden Propheten eines grünen Wirtschaftswunders scheint darin zu bestehen, nicht mehr zwischen Science Fiction und ernst zu nehmenden Zukunftsentwürfen unterscheiden zu können. So reichhaltig die Flut an zwischenzeitlich kreierten Nachhaltigkeitsinnovationen auch sein mag, so wirkungslos oder gar problemverschärfend waren sie bislang - und zwar ausnahmslos, insoweit alle Tricks der geographischen und systemischen Problemverlagerung eingerechnet werden. Der additive Ballast an vermeintlich grüner Technologie verstopft nicht nur den Rest intakter Lebensräume, sondern wohl auch die Köpfe der Nachhaltigkeitsnomenklatura. Die mehr als fragwürdige ökologische Modernisierung ist zur Projektionsfläche einer Erlösungshoffnung geworden. Aber: Retten soll der technologische Messias nicht zuvorderst die Ökosphäre, sondern einen Lebensstil, der mit atemberaubender Geschwindigkeit immer ruinöser wird. Gab es beispielsweise in Deutschland, dem Hort der Nachhaltigkeitsprediger, jemals mehr Flugreisen, digitale Endgeräte, Einwegverpackungen, Intensivlandwirtschaft, energieintensive Dienstleistungen, SUVs, Luxusdampfer-Kreuzfahrten, Straßen, Einkaufszentren, Flächenverbräuche etc.?

Allein vom globalen Projekt- und Konferenztourismus jener Heerscharen, die sich eines komfortablen Daseins als Weltrettungsexperte erfreuen, könnte eine neue Fluglinie namens »Sustainability-Airlines« vermutlich gut leben. Wer ökologische Schadensmaximierung betreibt und dabei unterunterbrochen von Nachhaltigkeit plappert, kann nicht wirklich die Rettung der Mitwelt meinen, sondern sucht nach bequemem Ablass. Es geht um die Imprägnierung individueller Freiheit gegenüber ökologisch motivierter Kritik. Das Passivhaus soll das vermeintliche Recht zementieren, nach Belieben Häuser in die Landschaft zu setzen. Die Elektromobilität soll das Recht auf motorisierten Individualverkehr nach altem Muster verteidigen. Photovoltaikanlagen sollen dazu legitimieren, nicht über Energieeinsparung nachdenken zu müssen. Energiesparbirnen sollen den Beleuchtungswahn aufrechterhalten. Cradle-to-cradle-Einwegverpackungen sollen dazu verhelfen, sich weiterhin nicht um die Hinterlassenschaften des eigenen Konsums sorgen zu müssen. Desertec soll das europäische Industriesystem gegen die Notwendigkeit eines Rückbaus immunisieren. Und so weiter.

Und wo war währenddessen der gute alte Club of Rome? Wo steht er heute? Als der grüne Wachstumszug an Fahrt gewann, ist er unbemerkt aufgesprungen. Längst rekrutiert er sich zumindest teilweise aus den prominentesten Vertretern des nachhaltigen Expansionismus. In einem 2003 erschienen Bericht wird eine »Vervierfachung des Reichtums im Norden« und eine »Vervierunddreißigfachung des Wohlstands im Süden« über die nächsten 50 bis 100 Jahre als Ziel proklamiert. Möglich werde dies durch eine Dematerialisierung um den Faktor 10. Auf Basis einer ökosozialen Marktwirtschaft, die in der Tradition des Rheinischen Kapitalismus stehe, sich in Europa bestens bewährt habe und nun auf den ganzen Globus zu erweitern sei, erwachse dann ein »Welt-Marshall-Plan«. Was für eine perfekte 180-Grad-Kehre: Grenzen des Wachstums? Wachstum der Grenzen! Dass nun inmitten dieses Deliriums an grünem Technikglauben abermals wachstumskritische Tendenzen aufscheinen und obendrein ein erstaunliches Echo finden, dürfte der Stromlinienförmigkeit des rundumerneuerten Club of Rome wohl zwangsläufig zuwiderlaufen.

Dabei bestätigt die Wachstumsdebatte 2.0 - sie firmiert unter Bezeichnungen wie »La decrescita felice«, »Décroissance«, »Degrowth« oder »Postwachstumsökonomie« - nicht nur die grundsätzlichen Befunde des 1972er-Berichts, sondern ergänzt diese um neue Begründungszusammenhänge. Seit 1972 hat sich das chronisch wachstumsabhängige Konsummodell zu einer damals unvorstellbaren Monstrosität aufgetürmt. Dementsprechend verletzlich wurde die daraus hervorgegangene Lebensform. Denn erstens wuchs mit dem Wohlstand die Fallhöhe, zweitens die geradezu schicksalhafte Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, Metallen, seltenen Erden, Flächen etc., folglich die Instabilität. Drittens sind auf dem langen Marsch in den Überfluss alle Fähigkeiten abhanden gekommen, sich notfalls auch anders als industriell zu versorgen. Die globale Arbeitsteilung hat die Menschen reicher gemacht. Zugleich sie nun hilfloser als je zuvor, hängen wie Marionetten an den Strippen einer entgrenzten Versorgungsmaschine, die niemand mehr durchschaut, geschweige steuern kann. Deren Totalausfall ist angesichts absehbarer Finanz- und Ressourcenkrisen das wahrscheinlichste aller ökonomischen Szenarien.

Damit wird der Rückbau des Wohlstandes zum Gebot des Selbstschutzes. Die zum Schlüsselbegriff der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte avancierte »Resilienz« eröffnet ungeahnte Motivationen: Eine neue Lust auf Subsistenz, Selbermachen, gemeinsam Nutzen und reparieren pfeift auf jeden Ökofundamentalismus. Vielmehr geht es um ökonomische Souveränität oder »Daseinsmächtigkeit«, wie Marianne Gronemeyer zu sagen pflegt. Nichts weniger als eine Revision des modernen Freiheitsmythos deutet sich an: Wohlergehen heißt nicht viel zu haben, sondern wenig zu brauchen und dieses Wenige so autonom und eigenständig wie nur möglich bereitzustellen. Was nützt Reichtum, wenn er mit unerträglichen Absturzrisiken erkauft wird, folglich mit ihm die Angst vor dem nächsten Kollaps wächst? Auch aus anderen Gründen hat sich die Komfortzone in ein Gefängnis verwandelt. Das versprochene Glück klemmt an allen Ecken und Enden. Ein fatales Schema zeichnet sich ab: Erst kommt die Selbstverwirklichung, dann die Konsumverstopfung, dann die Zeitknappheit, schließlich der Burn Out und am Ende mausert sich die Depression ausgerechnet in den prosperierenden Konsumgesellschaften zur Zivilisationskrankheit Nummer eins. Und das soll wachsen?

Der Club of Rome hätte genug Munition, um sich der Befreiung vom Überfluss zu widmen, anstatt grüngewaschene Varianten eines überkommenen Wohlstandsmodells zu verbreiten. Doch seien wir nicht so streng. Wer sich einmal um 180 Grad gedreht hat, schafft es ja vielleicht ein zweites Mal. Und in der Tat transportiert der neue Bericht des Club of Rome, jüngst veröffentlicht unter dem Titel ..., die unverblümte Botschaft, dass die Wirtschaft mit ihrem steten Wachstum dem Klima und den Naturschätzen schade. Happy Birthday zum Vierzigsten!

Die nächsten 40 Jahre ...

  • Die globale Bevölkerungszahl erreicht kurz nach 2040 ihren Höchststand: 8,1 Milliarden. Danach geht sie zurück.
  • Soziale Verteilungskämpfe und extreme Wetterbedingungen entschleunigen den Produktivitätszuwachs. Um das Jahr 2050 wird sich das globale Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu heute dennoch mehr als verdoppelt haben.
  • Der weltweite Konsum von Gütern und Dienstleistungen wächst verlangsamt und erreicht 2045 seinen Höchststand.
  • Ressourcenprobleme und Klimawandel werden bis 2052 keine katastrophalen Ausmaße annehmen, aber vermeidbares Leiden verursachen.
  • Die Weltbevölkerung wird zu immer größeren Anteilen in Städten leben. Der Schutz der Natur um ihrer selbst willen bleibt auf der Strecke.


Prognosen des Reports »2052«, den der Club of Rome jüngst präsentierte.

»Nonstop Wachstum« / Zeichnung: Harald Kretzschmar
»Nonstop Wachstum« / Zeichnung: Harald Kretzschmar
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