Auf dem Computerfriedhof

Das neue Elektronikmüll-Gesetz in Indien gilt als bedeutsamer Schritt für umweltgerechte Recyclingsysteme im Land

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Kurzem ist in Indien das 2011 beschlossene Gesetz über Elektronikmüll offiziell in Kraft. Aus Sicht von Umweltverbänden ist es ein wichtiger Schritt vorwärts im Kampf gegen bisherige Entsorgungspraktiken.

Old Seelampur am nördlichen Rande des Zentrums der Hauptstadt Delhi hat nichts, was Besucher unbedingt anlocken würde. Ein Gewirr schmalerer Straßen und grauer Häuser, Hektik und Krach wie fast überall in indischen Metropolen. Und doch ist Old Seelampur bekannt - hier liegt eines der Zentren des sogenannten »grauen Sektors« der Elektronikschrottaufarbeitung. Was das bedeutet, kann man beim Gang durch die Straßen sehen. Vor vielen Häusern türmen sich Computergehäuse, Tastaturen, Festplatten. Zu manchen Zeiten lässt sich beobachten, wie in Schalen und Bottichen eine ganz besondere Suppe gekocht wird - mittels Hitze und chemischen Zusätzen werden besonders wertvolle Stoffe aus dem zerkleinerten Schrott gelöst.

Nach Handschuhen wird man hier in der Regel vergeblich suchen, nichts verhindert, dass schädliche Substanzen sich ihren Weg ins Grundwasser bahnen. »Risiko? Natürlich weiß ich, dass das, was wir hier machen, nicht ungefährlich ist. Aber was soll ich tun?«, sagt in gebrochenem Englisch ein jüngerer Mann, der alte Computerbildschirme auseinandernimmt.

Ganz ähnlich sieht es allerdings in bestimmten Straßenzügen der IT-Metropole Bangalore im Landessüden aus. Doch während in Delhi nur manche Arbeiter abweisend mit dem Kopf schütteln, wenn eine Kamera auftaucht, kann die Protestreaktion im »grauen Sektor« Bangalores bisweilen noch heftiger ausfallen. Allzu neugierige Blicke sind hier gar nicht erwünscht.

Blei, Quecksilber, Kadmium, Arsen, Beryllium und viele andere, dem Normalbürger eher weniger bekannte Stoffe sind in Computern, Handys, Fernsehern enthalten. Das Risiko, sich Hautkrankheiten oder Krebs zuzuziehen oder Gehirnschädigungen bei Kindern auszulösen, ist erheblich.

Wenn von dem neuen Gesetz die Rede ist, so ist Bangalore der wichtigste Bezugspunkt. Nicht nur, dass hier viele Konzerne der Computerbranche ihren Sitz haben. Die Stadt war 2006 auch der Ort, wo die erste zertifizierte Anlage zum umweltgerechten Recycling ihren Betrieb aufnahm. Bei E-Parisaraa, gelegen an der westlichen Ausfallstraße etwa 40 Kilometer vom Zentrum entfernt, sind die Geburtshelfer der damaligen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ, heute GIZ) nicht mehr vonnöten. Viel Erfahrung hat man hier inzwischen gesammelt, ist Vorreiter und stolz, dass die Gesetzgebung nun endlich aufholt. Mit trainiertem Personal aus den umliegenden Dörfern bereitet die Firma alljährlich etliche Tonnen Elektronikmüll auf. Nur ein kleiner Teil ist nicht wiederverwertbarer Abfall, der entweder als Sondermüll entsorgt oder zum Auffüllen von Bodenunebenheiten verwendet wird. Das meiste aber lässt sich dem Wirtschaftskreislauf wieder zuführen: Kupfer, Silber, Gold und etliche andere Elemente werden hier nicht mittels einer fragwürdigen »Computersuppe«, sondern mit moderner, umweltsicherer Technologie zurückgewonnen.

Dass E-Parisaraa spätestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr ganz so einzigartig ist, stört die Firmenleitung nicht. Im Gegenteil: Mit Blick auf das große Ziel freut man sich hier sogar über Konkurrenz. »Wir wissen von einigen Unternehmen, die in den Sektor vordringen wollen«, sagt Personaldirektor BG Harish.

Bis der »graue Sektor« in Delhi, Bangalore und andernorts Geschichte ist, dürfte insgesamt noch wenigstens ein halbes, wenn nicht ganzes Jahrzehnt vergehen. Den neuen, zertifizierten Betrieben fehlen momentan allein schon die ausreichenden Kapazitäten, den Bedarf abzudecken, wie auch Harish offen einräumt. Greenpeace spricht in seinen Studien von 800 000 Tonnen im Jahr 2008, die sich 2012 nunmehr verdoppelt haben dürften. Und die Umweltbehörden sind zu umfassenden Kontrollen kaum in der Lage.

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