Bildungsnotstand in Sachsen
Lehrer protestieren - Politik wiegelt ab
Es muss wirklich etwas passiert sein, wenn sich Frank Haubitz, Vorsitzender des Philologenverbandes Sachsen und bislang kein Rebell, so erschüttert vor der Presse äußert. In diesen Tagen muss der Schulleiter den Eltern erklären, warum er aus fünf achten Klassen vier machen muss, damit im kommenden Schuljahr die Unterrichtsversorgung überhaupt noch gewährleistet werden kann. Und das an einem Gymnasium der Landeshauptstadt Dresden!
Bei sächsischen Grundschulen hat man sich fast schon daran gewöhnt, permanent am Limit zu fahren. »Das funktioniert nur noch dank Freiarbeit«, sagt eine Klassenleiterin. »Mit herkömmlichem Frontalunterricht wäre das System schon zusammengebrochen!«
Stammelnde Ministerin
Was ist los im Bildungs-Musterland Sachsen? Gegen Ende des Schuljahres schrillen immer häufiger die Alarmglocken. Die erst im April für den zurückgetretenen Roland Wöller berufene Kultusministerin Brunhild Kurth (parteilos) sitzt wie immer stammelnd vor den Journalisten und kann für den 4. September keinen abgesicherten Unterrichtsbeginn im neuen Schuljahr garantieren. Einen Tag später widerruft sie am Mittwoch im Landtag diese Aussage. Da stehen schon 5000 Lehrer vor dem Landtag und schnüren an Stelle des »Bildungspäckchens« der Staatsregierung symbolisch ein ordentlich großes neues Bildungspaket.
In gewohnter Arroganz hat die CDU-geführte sächsische Landesregierung das heraufziehende Lehrerstellenproblem lange ignoriert. Wichtiger war, als vorbildlicher Sparer dazustehen und beim Stellenabbau voranzugehen. Mit Sofortmaßnahmen wollte die CDU/FDP-Regierung im April ihr Bildungspaket vom Dezember des Vorjahres korrigieren.
Doch die Lehrerverbände rechnen vor, dass trotz der geplanten 655 Neueinstellungen im September unterm Strich weniger Lehrer zur Verfügung stehen werden. 583 Stellen würden zuvor laut Haushaltplan abgebaut, und die aus dem Ganztagsprogramm umzusetzenden Lehrer seien bereits jetzt als Unterrichtsaushilfe voll gefordert.
In zuvor nicht gekannter Einigkeit treten nun die Bildungsgewerkschaft GEW, der Lehrerverband, der Philologenverband und der Verband der Berufsschullehrer gemeinsam auf. »Die Qualität des sächsischen Bildungssystems, um das uns manche beneiden, wird aufs Spiel gesetzt«, fasste Lehrerverbands-Landesvorsitzender Jens Weichelt bei der Abschlusskundgebung ihre Forderungen zusammen. Zu diesen gehören neben neuen Lehrerstellen und besseren Bedingungen für Referendare auch Erleichterungen für die im Durchschnitt über 50 Jahre alte Lehrerschaft. Viele von ihnen arbeiten nach persönlichen Schilderungen bereits an der Belastungsgrenze.
Die gerechte Eingruppierung insbesondere bei Mittelschullehrern spielte eine zentrale Rolle bei kurzen Statements von Lehrern. Nichtverbeamtung und die geringere Vergütung in Sachsen seien Haupthindernisse, um junge Lehrer in Sachsen zu halten oder wiederzugewinnen, kritisierten mehrere Redner. Außerdem müssten Mehrleistungen wie Klassenleiterstunden komplett anerkannt und mit Altersteilzeit ein »Rentenübergang in Würde« gewährleistet werden.
»Highway to hell«
Zu allem Überfluss kündigte das Kultusministerium nun auch noch an, einen Großteil der vollzeitschulischen Ausbildungsgänge an Berufsfachschulen zu schließen. Das Duale System betrieblicher Ausbildung könne die Ausfälle komplett auffangen, behauptete Kultusministerin Kurth. Die Zahl der Betroffenen Berufsschüler bleibt unklar. Die Ministerin sprach am Mittwoch nicht zu den Demonstranten, hörte sich am Ende aber deren Sorgen an. Auch eine 59-jährige Kollegin, die unter Tränen von ihrer achten Abordnung in zehn Jahren berichtete, als die Ministerin mehr Flexibilität an den Schulen verlangte.
Mit Spannung wird nun die Kabinettsklausur zum Doppelhaushalt 2013/14 Anfang Juli erwartet. Kommen keine befriedigenden Lösungen, kündigten die Lehrerverbände einen heißen Herbst an. Mit »Highway to hell«, intoniert von der Lehrerband »Teilzeit«, hatte schon die Mittwochsdemo begonnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.