Fiskalpakt ohne Gegenwehr

SPD und Grüne im Glashaus, der Zivilgesellschaft fehlen Konzepte

  • Alexis Passadakis
  • Lesedauer: 3 Min.
Alexis Passa- dakis ist Politikwissenschaftler und Mitglied des Attac-Rates.
Alexis Passa- dakis ist Politikwissenschaftler und Mitglied des Attac-Rates.

Es gibt wohl kaum ein politisches Projekt in dieser Legislatur, an das sich Angela Merkel derart persönlich gekettet hat wie an den Fiskalpakt. Die Gründe: Zum einen wird damit unter dem Slogan »Haushaltsdisziplin« der eigenen Klientel die Zustimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), dem neuen Milliardenrettungsschirm, verkauft. Zum anderen kann mit seiner Hilfe das langfristige Ziel, das Fundament europäischer Sozialstaatlichkeit weiter zu untergraben, mit großen Schritten vorangetrieben werden. Dass für die Zustimmung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig ist, liefert der Opposition die seltene Chance, mit einer Ablehnung Merkels Kanzlerschaft zu versenken.

Selbst von diesem schnöden machtpolitischen Kalkül - geschweige denn von einer inhaltlichen Ablehnung - könnten SPD und Grüne nicht weiter entfernt sein, als sie es derzeit sind. Stattdessen sind die rot-grünen Parteispitzen wild entschlossen, Merkel zu einem bravourösen Sieg zu verhelfen und den unsozialen und antidemokratischen EU-Umbau zu zementieren.

Warum? SPD und Grüne können den Fiskalpakt mit seinen brachialen Schuldenabbauregeln nicht ablehnen, da sie selbst im neoliberalen Glashaus der »Haushaltskonsolidierung« sitzen und es sich dort seit Jahren eingerichtet haben. Mit groben Kieseln auf die Regierung zu werfen, ist so nicht möglich. Beide Parteien haben panische Angst, im kommenden Bundestagswahlkampf von der CDU als »Schuldenparteien« an die Wand genagelt zu werden.

Die Zustimmung fällt ihnen außerdem besonders leicht, weil ihnen von Merkel mit der Finanztransaktionssteuer (FTT) ein attraktives Feigenblatt geboten wird. Der Öffentlichkeit wird so oppositionelle Handlungsfähigkeit demonstriert. Dass mit einem solchen Deal Parlamentsrechte für ein Linsengericht verkauft werden, ficht die Strategen im Willy-Brandt-Haus nicht an.

Leider gelingt es den Kräften der Zivilgesellschaft, die seit Jahren Druck für die Besteuerung aller Finanztransaktionen machen, nicht, auf die Veränderung des Kontextes, in dem die FTT nun steht, strategisch zu reagieren. Mit den engen Grenzen einer Ein-Punkt-Kampagne, die den breiten Gesellschaftszusammenhang ausklammert, lässt sich das bizarre Geschachere zwischen Kanzleramt und Fraktionsspitzen nicht demaskieren.

Auch unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren gibt es offensichtlich kein ausreichend starkes alternatives Konzept, das der Vorstellung von »notwendiger Sparpolitik« etwas entgegen setzt - weder von Gewerkschaften, noch von Akteuren sozialer Bewegungen oder der Linkspartei. Die aktuelle Situation gleicht ein wenig der Lage während der Durchsetzung der Agenda 2010. Trotz einiger kleiner tapferer rot-grüner Widerstandsnester wird die Bundesrepublik in entscheidenden gesellschaftlichen Fragen von einer ganz großen Koalition aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen regiert. Mit hohem taktischen Aufwand organisierte Konflikte wie der um das Betreuungsgeld bestätigen die Regel.

Ohne die Dominanz des Mantras »Haushaltskonsolidierung« zu brechen, wird es in den nächsten Jahren keine Spielräume für eine neue soziale Politik in Deutschland und Europa geben. Es ist daher nötig, eine andere Erzählung von öffentlichen Ausgaben und privatem Reichtum zu platzieren. Dazu gehört es, den Skandal der Bankenrettungen wieder ins Bewusstsein zu holen, eine aktive Zentralbankpolitik zur Staatsfinanzierung zu skizzieren, Schuldenerlasse plausibel zu machen und hohe Vermögensteuern zu fordern. Spätestens nach der Sommerpause sollte es damit losgehen.

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