Sündenbock mit Umbruchserfahrung

Der »Rotkäppchensalon« an der Berliner Humboldt-Uni hinterfragte das Konstrukt vom rechtsradikalen Ossi

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Leipziger Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich mit der Konstruktion des Ossis und wartet dabei mit interessanten Thesen auf.

Die Vorgänge um die Zwickauer Naziterrorzelle haben es wieder einmal gezeigt: Im rechtslastigen Milieu Ostdeutschlands gedeiht die braune Saat ganz prächtig. Dabei lastet der Ruf, ein Rechtsradikaler zu sein, dem Ossi schon seit den frühen 90er Jahren an. Damals sorgten die pogromartigen Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock weltweit für Empörung und festigten das Image des braunen Ostens. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Die Leipziger Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates dreht den Spieß nun um. In ihrem Anfang Juli erscheinenden Sammelband: »Der Ossi: Mikropolitische Studien über einen symbolischen Ausländer« widmet sie sich den ostdeutschen Fremd- und Selbstzuschreibungen. Es geht ums Fremdsein im eigenen Land und die Frage, wie »der angebliche Ausländerfeind selbst zum Mi- granten im eigenen Land wird«.

Die Thesen der Politikwissenschaftlerin sind wie geschaffen für den »Rotkäppchensalon«, eine Diskussionsreihe am Berliner Institut für Sozialwissenschaften, die »festgefahrene und unterkomplexe Ost-West- und Wiedervereinigungsnarrative hinterfragt«.

Wie Pates in ihrem Vortrag am Dienstagabend betonte, gelten Ostdeutsche je nach Bedarf als besonders umbruchserfahren, änderungsresistent oder rechtsradikal. Dabei beruhten viele wissenschaftliche Nachweise seiner Rechtslastigkeit auf Vermutungen bzw. Erhebungsfehlern, wie die Leipziger Professorin erläuterte.

So beziehen sich noch heute viele auf die Thesen des Berliner Politikwissenschaftlers Richard Stöss, der die in der DDR vermittelten Werte wie Solidarität, Kollektivität oder Nationalbewusstsein als ursächlich für den Naziboom nach der Wende ansah. Stöss unterstellte eine Kontinuität dieser Werte über das Ende der DDR hinaus. Wegen der großen Verunsicherung in der Umbruchsphase hätten viele Ossis auf die alten Werte zurückgegriffen und sie dabei »übersteigert«. Das hört sich plausibel an, hat nur einen Schönheitsfehler: Stöss hat seine Thesen nie empirisch belegt.

Pates verwies zudem auf einen bekannten Ost-West-Vergleich zu rechtsextremen Einstellungen aus dem Jahre 2006. Dieser habe ergeben, dass es in den Neuen Ländern weniger Antisemitismus und weniger Verharmlosung der NS-Zeit gab. Dafür sei Ausländerfeindlichkeit weiter verbreitet gewesen. »Doch die Befragung hatte ein erhebungstechnisches Problem«, so Pates. Denn die befragten Ostdeutschen kamen überwiegend aus kleinstädtischen, dörflichen Milieus, während man im Westen vor allem Bürger aus größeren Städten interviewte. Die Testfrage, wonach die Bundesrepublik »in gefährlichem Maß überfremdet« sei, spiegele so weniger die Unterschiede zwischen Ost und West wider als die zwischen Stadt und Land. Denn auch im Westen dominiere im ländlichen Raum eine »partikularistische Ethik«, die das Fremde eher ablehne, so Pates. In urbanen Räumen sei hingegen die »universalistische Ethik« weiter verbreitet.

Ist der rechtsradikale Ossi also ein Konstrukt? Vielleicht. Zumindest taugt er so zum Sündenbock, der alle Schuld auf sich nehmen kann. Das Prinzip dahinter ist aus westdeutscher Perspektive denkbar einfach: »Wenn wir darüber reden, dass die Ossis so rechtsradikal sind, müssen wir nicht darüber reden, dass wir in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches Problem haben«, fasste Pates dieses Prinzip zusammen.

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