Geburtsfehler Maastricht

Tanja Börzel über Konflikte in der EU-Wirtschaftspolitik

  • Lesedauer: 4 Min.
Bei einem Vierergipfel in Rom wollen die Regierungschefs von Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien heute das mit Spannung erwartete EU-Ratstreffen in einer Woche vorbereiten. Lösungen zur Eindämmung der Schuldenkrise sind genauso gefragt wie Vorschläge für ein Wachstumspaket.
Tanja A. Börzel ist Inhaberin des Lehrstuhls für Europäische Integration an der Freien Universität Berlin.
Tanja A. Börzel ist Inhaberin des Lehrstuhls für Europäische Integration an der Freien Universität Berlin.

nd: Die wirtschaftliche Integration galt immer als besonderer Erfolg der europäischen Einigung. Warum hapert es nun ausgerechnet an der Wirtschafts- und Währungsunion?
Börzel: In Maastricht wurde vor knapp 20 Jahren eine Währungsunion ohne eine Wirtschaftsunion auf den Weg gebracht. Eine gemeinsame Währung braucht aber auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, vor allem eine gemeinsame Haushaltspolitik. Darauf hatte man sich in Maastricht eigentlich auch mit den Konvergenzkriterien verständigt. Sie sollen eine Annäherung der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik sicherstellen im Hinblick auf die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit. Allerdings besteht bis heute zwischen Deutschland und Frankreich der Konflikt über die Gestaltung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Die Franzosen hätten diese gern intergouvernemental verhandelt, also möglichst viel Einfluss für die Mitgliedstaaten. Die Deutschen wollen eine europäische Wirtschaftsregierung, die diesen Namen auch verdient, mit gemeinsamen Regeln und einer starken Kommission.

Warum wird die Wirtschaftsunion jetzt nicht nachgeholt?
Dies würde mehrere Jahre dauern. Zwischen den Verträgen von Nizza und Lissabon lagen fast zehn Jahre. Und wir Deutschen müssten das Grundgesetz ändern - das Bundesverfassungsgericht hat erst am Dienstag sehr deutlich gemacht, dass das Haushaltsrecht des Bundestages ein Kern des Demokratiegebots des Grundgesetzes ausmacht. Wenn man darin wirklich eingreifen wollte - was eine Fiskalunion täte -, müssten wir unsere Verfassung ändern. Das heißt, wir reden hier von einem Drei-, Vier-Jahresprojekt. Für die Eurokrise kommen Fiskalunion und Eurobonds also zu spät.

Welche Ergebnisse erwarten Sie vom Treffen der EU-Regierungschefs in einer Woche, wenn nicht einen großen Wurf?
Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten nicht so viel Zeit darauf verwenden werden, über die Fiskalunion zu diskutieren, sondern über Maßnahmen, die sofort ergriffen werden können. Auch die Bundesregierung hat verstanden, dass mit Sparen allein die Krise nicht behoben werden kann. Aber es ist auch nicht so richtig klar, wie ein Wachstumspaket aussehen soll. Gerade bei Griechenland ist es nicht so, dass es nicht genug Geld gäbe. Die Griechen haben Millionen Euro aus Strukturfonds nicht abgerufen, weil sie es nicht ausgeben können. Das heißt, über Eurobonds mehr Geld nach Griechenland zu werfen, löst das Problem nicht.

Was muss mit Blick auf Spanien und Italien getan werden?
Bei der Bankenkrise in Spanien zeichnet sich jetzt eine mögliche Kompromisslinie in Anlehnung an den Vorschlag des Rats der Wirtschaftsweisen zum Schuldentilgungsfonds ab. Eine andere Idee ist die Bankenunion, bei der die Bundesregierung sich auch langsam bewegt. Mit ihr würde das Prinzip aufgegeben werden, dass europäische Gelder immer über die Regierungen an die Banken gegeben werden müssen und somit die Staatsverschuldung des jeweiligen Landes nach oben geht. Die 100 Milliarden Euro, die etwa Spanien braucht, um seine Banken zu rekapitalisieren, würden die Staatsverschuldung noch einmal massiv steigern.

Wozu der Gipfel vor dem Gipfel in Rom?
Es ist kein Zufall, dass sich jetzt Italien, Frankreich, Deutschland und Spanien treffen. Das sind die Länder, um die es wirklich geht. Deutschland und Frankreich müssen eine Einigung darüber erzielen, wie man vor allem Spanien, aber auch Italien hilft. Und es war Herrn Montis Vorschlag, dass der europäische Stabilitätsmechanismus Staatsanleihen kaufen darf, um vor allem die Zinskosten für Italien und Spanien zu senken.

Nehmen Mario Monti, François Hollande und Mariano Rajoy Angela Merkel in den Würgegriff?
Kurzfristig muss sich die Bundesregierung auf jeden Fall bewegen, weil es so nicht mehr weitergeht. Aber Frau Merkel hat mit dem Bundesverfassungsgericht und der FDP, die die Kröte der Finanztransaktionssteuer nun geschluckt hat, zwei starke innenpolitische Vetospieler. Problematisch wird vor allem die Diskussion, wie man Wachstum generiert, ohne die Staatsverschuldung nach oben zu fahren. Das andere Problem ist, selbst wenn wir das Geld auftreiben, wofür geben wir es eigentlich aus, um Wachstum zu generieren? Hierbei, glaube ich, hält die Bundesregierung einige der Vorschläge, die Frankreich und auch Italien gemacht haben - Spanien hält sich da eher zurück -, für nicht tragfähig und vielleicht auch in Deutschland nicht durchsetzbar. Dem muss sie konstruktiv etwas entgegen setzen. Das sehe ich momentan noch nicht. Wir sagen zu allem immer nur nein. Und es ist auch nachvollziehbar, warum wir nein sagen. Aber das ist total frustrierend für unsere europäischen Partner.

Das klingt, als berge die Krise nicht die Chance, die europäische Integration weiter voranzutreiben.
Doch, das glaube ich schon. Es herrscht die Einsicht, dass die Krise das Resultat von einigen Geburtsfehlern des Maastrichter Vertrages ist. Jetzt ist allen klar, dass auf europäischer Ebene mehr getan werden muss. Die Integration wird also in jeden Fall fortschreiten. Wie, ist aber noch nicht ausgemacht. Hier müssen sich vor allem Deutschland und Frankreich einigen. Ich vermute, es wird am Ende ein ähnlicher Kompromiss herauskommen wie in Maastricht, wo sich die Deutschen zwar weitgehend durchgesetzt haben, aber einige Zugeständnisse an Frankreich machen mussten. Wobei Deutschland jetzt natürlich in einer etwas stärkeren Position ist als vor 20 Jahren.

Interview: Katja Herzberg

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