Schlecker ist Geschichte

Heute schließen die letzten Filialen der insolventen Drogeriekette

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele der ehemaligen Schlecker-Beschäftigten stehen vor der Arbeitslosigkeit - oder sind bereits arbeitslos. Für viele der weiblichen Beschäftigten bleibt die Unsicherheit über ihre berufliche Zukunft.

»Diese Filiale hat bis 27. 6. geöffnet«, steht an der Tür. Doch die Tür ist bereits am Dienstag, einen Tag vorher, verschlossen. Das Neonlicht im Inneren beleuchtet die beige Tristesse leerer Regale. Ein paar Kleinbildfilme sind als einzige verbliebene Ware durch das Schaufenster zu erkennen. Aber Filme will im Zeitalter der Digitalfotografie selbst mit 90 Prozent Rabatt wohl niemand mehr haben.

»Wat soll die arme Frau denn in dem leeren Laden rumsitzen«, ruft eine Frau aus dem ersten Stock. Offiziell schließt Schlecker am heutigen Mittwoch um 15 Uhr, doch seit Wochen macht eine Filiale nach der anderen dicht. Entweder gibt es nichts mehr zu verkaufen oder es gibt niemanden mehr, der verkaufen könnte. Wer von den Schlecker-Frauen konnte - es arbeiteten fast nur Frauen in dem Drogerieimperium -, hat sich schon vor dem endgültigen Aus andere Jobs gesucht.

Durchaus verständlich, wenn man sich die Erfolgsmeldung der Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) zu Gemüte führt. Die teilte am Sonntag mit, dass von den Berliner Betroffenen der ersten Entlassungswelle »bereits 40 Prozent nicht mehr arbeitslos gemeldet« sind. Das heißt also, dass mindestens 60 Prozent seit Ende März arbeitslos sind. Wie viele der als nicht arbeitslos Geltenden dazu in irgendwelchen Maßnahmen geparkt sind, ist unklar.

Bundesweit ist nur ein Drittel der etwa 11 000 Entlassenen der ersten Welle inzwischen aus der Statistik verschwunden. »Die Vermittlungsquote ist sehr unterschiedlich«, sagt Paul Erben von der Nürnberger Zentrale der Arbeitsagentur. »Gerade im ländlichen Raum fehlen vergleichbare Jobs«, sagt Susanne Veh von ver.di. In Brandenburg seien immer noch 80 Prozent der Frauen ohne Job. »Das straft die Angaben von Wirtschaftsminister Rösler oder den Unternehmen Lügen, das alle Arbeit fänden.«

Um abzuschätzen, inwieweit Weiterbildungen oder die von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angeregte Umschulung zu Altenpflegerinnen oder Erzieherinnen nachgefragt würden, sei es noch viel zu früh, sagt Erben. »Die ehemaligen Schlecker-Beschäftigten haben allerdings die gleichen Rechte wie alle anderen auch.« Eine zwangsweise Umschulung in die genannten Berufe wird es also nicht geben. Auch scheinen Forderungen, unter anderem von ver.di, bei vollwertigen Ausbildungen auch das dritte Jahr durch die Arbeitsagentur zu finanzieren, nicht umgesetzt zu werden. »Ziel muss ein vollwertiger Berufsabschluss sein«, sagt ver.di-Vorstand Achim Meerkamp.

»Es ist ein Schock, eine Tragödie und ein Desaster«, schreiben die Kinder des Firmengründers, Lars und Meike Schlecker, in einem persönlichen Statement zur Pleite im firmeneigenen Blog. »Schlecker hat über viele Jahre einer großen Zahl von Menschen sichere Arbeitsplätze, im Vergleich mit dem Wettbewerb überdurchschnittlich viele Vollzeitstellen, seit 2010 die weitreichendsten Tarifverträge der Branche und damit ein gutes Auskommen geboten.« »Wir haben bei den Schlecker-Frauen wunderbar durchgesetzt, dass sie tariflich bezahlt werden, allerdings zahlt nur etwa die Hälfte aller Handelsunternehmen nach Tarif«, sagt Veh. Nun müssten fast alle ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen selbst mit neuer Beschäftigung empfindliche Lohneinbußen hinnehmen. Zudem kämen auf 258 700 Arbeit suchende Einzelhandelsfachkräfte nur 22 300 gemeldete Stellen.

Interessant sind die Kommentare der ehemaligen Mitarbeiterinnen unter dem Beitrag der Schlecker-Kinder. »Wir werden zu geringeren Löhnen und mit einer großen Portion Misstrauen - jeder neuen Firma gegenüber - weitermachen müssen. Für viele ist da jetzt erst einmal ein großes Nichts«, schreibt eine und widerspricht dem Vorwurf, ver.di sei Schuld an der Pleite: »Schlecker selbst hatte die Kostenexplosion bei den Arbeitnehmervertretern zu verantworten. Alles musste bis zum Schluss eingeklagt werden.« In Bezug auf die Diskussionen zur Vermögensaufteilung innerhalb der Familie Schlecker meint sie: »Im deutschen Recht gibt es keine Sippenhaft. Im Sozialgesetzbuch II schon.« Die Perspektive für die nun Erwerbslosen ist bitter.

Aufstieg und Niedergang: 37 Jahre Schlecker

Schlecker war jahrelang die Nummer eins der deutschen Drogerieketten. Ein Rückblick: Anton Schlecker eröffnet 1975 in Kirchheim/Teck (Baden-Württemberg) seine erste Drogerie. Zwei Jahre später sind es 100 Filialen. Als ersten Auslandsmarkt erschließt Schlecker 1987 Österreich; es folgen Spanien, die Niederlande und Frankreich. Nach dem Fall der Mauer expandiert Schlecker in den 1990er Jahren relativ schnell in Ostdeutschland. Gewerkschafter kritisieren 1994, Mitarbeiter würden schikaniert und schlecht bezahlt. Schlecker spricht von Einzelfällen. Vor zwei Jahren wird wieder Kritik laut: Bestehende Arbeitsplätze sollen durch Leiharbeitsverträge ersetzt werden sollten. Zugleich sinkt der Umsatz um 650 Millionen Euro auf etwa 6,55 Milliarden. 2011 beginnt der radikale Umbau des Filialnetzes.
Nach Wochen voller Gerüchte um finanzielle Engpässe geht Schlecker im Januar 2012 in die Insolvenz. Der Insolvenzverwalter kündigt im Februar an, 11 750 der rund 25 000 Jobs zu streichen und bis zu 2400 der 5400 deutschen Schlecker- und Schlecker-XL-Filialen zu schließen. Im März beginnt das Insolvenzverfahren. Zugleich scheitern Verhandlungen auf Länderebene für eine Transfergesellschaft vor allem am Widerstand der FDP-Wirtschaftsminister. Im Juni stimmen die größten Schlecker-Gläubiger für die Abwicklung. Mögliche Investoren hätten zu wenig geboten. Auch die restlichen über 13 000 Schlecker-Mitarbeiter in Deutschland verlieren bis Ende Juni ihren Job. Bei Rabatten bis zu 90 Prozent läuft der Ausverkauf auf Hochtouren. Die Zukunft der Töchter Schlecker XL und IhrPlatz ist noch offen. (dpa/nd)

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