Pluralität ist anzuerkennen

  • Christoph Kleine
  • Lesedauer: 4 Min.

Karl Marx definierte den Kommunismus als die »wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt«. Seitdem sind Linke auf der Suche nach dieser »wirklichen Bewegung«, während sie sich in der Realität oft mit dem scheinbaren Gegenteil, nämlich der Organisierung und Parteibildung, beschäftigen. Und ebenso lange gibt es die Debatte, ob die Organisierten der Bewegung eher dienend und von ihr lernend begegnen oder sie stattdessen führen, formen oder gar hervorrufen sollten.

Noch komplizierter wird es dadurch, dass in der Linken sowohl Bewegungen als auch Parteien nach den Erfahrungen des Stalinismus und seit dem Aufbruch von 1968 nur noch im Plural gedacht werden können. An die Stelle der einen Arbeiterbewegung ist eine Vielzahl von sozialen Bewegungen getreten, die an unterschiedlichen Punkten ansetzen, an denen Menschen mit den kapitalistischen Verhältnissen in Reibung geraten. Ebenso ist das Konzept der einen Partei, die alle diese Widersprüche kollektiv organisieren und auf das gemeinsame Ziel zuspitzen könnte, anachronistisch geworden. Anzuerkennen ist demnach die Pluralität nicht nur der Bewegungen und nicht nur in einer Partei, sondern ebenso eine Pluralität der linken Parteien und Organisationen.

Bewegungen und Parteien/Organisationen sind unterschiedliche, aber gleichermaßen notwendige Bestandteile gesellschaftlicher Gegenmacht. Bewegungen zeichnen Dynamik und Spontaneität aus. Sie bleiben aber den Zyklen der Bewegungskonjunktur unterworfen und können kollektive Erfahrungen kaum festhalten. Organisationen können hingegen längerfristige Strategien zur gesellschaftlichen Transformation entwickeln und verfolgen, sind aber ohne Kontakt zu den Bewegungen in ständiger Gefahr zu verknöchern und sich zu isolieren.

Organisierte Linke sollen sich also in einer Bewegung dann einbringen, wenn sie zwei Voraussetzungen beachten: Erstens müssen sie die Logik von Bewegungen verstehen und ihre Unabhängigkeit respektieren, das heißt sich aller Versuche der Dominierung enthalten. Und zweitens dürfen sie die Bewegungen nicht zum Schauplatz von Konkurrenzkämpfen mit anderen organisierten Linken machen, sondern sollten die Bewegungen auch als Orte akzeptieren, an denen verschiedene linke Organisationen und Parteien kooperieren.

Nach meinem Eindruck hat die LINKE den ersten Punkt in den vergangenen Jahren zunehmend gut umgesetzt. Sie hat an wichtigen Bewegungsmobilisierungen von Heiligendamm über Dresden bis zu »Castor Schottern« und Blockupy aktiv teilgenommen und ihre parlamentarischen und medialen Ressourcen eingesetzt, um die Legitimität von Aktionen des massenhaften Ungehorsams zu unterstützen. Die neue Parteispitze steht auch für diesen Kurs und ist ein positives Signal für die Weiterentwicklung dieser Bewegungsorientierung. Die Linkspartei wird darüber die Sicherung ihres inneren Zusammenhalts und ihrer parlamentarischen Existenz nicht vergessen dürfen, weshalb den Bewegungen mit einer alleinigen Orientierung der Partei auf außerparlamentarische Aktionen und einer möglichst radikalen Rhetorik nicht gedient wäre.

Was das Verhältnis linker Organisationen zueinander betrifft, scheint bei manchen, die jetzt eine Welle der Parteibeitritte aus der Bewegungslinken lostreten wollen, ein Missverständnis vorzuliegen. Die LINKE kann nicht das Projekt verfolgen, eine parlamentarisch verankerte Mitgliederpartei zu sein und gleichzeitig den organisatorischen Rahmen für radikale Linke bilden. Letzteres verlangt mehr inhaltliche und strategische Vereinheitlichung und ein höheres Maß an Aktivismus. Es führt also entweder zu einer Anpassung der Neumitglieder an die Logik der Partei oder zu neuen, unproduktiven Strömungskämpfen.

So gut es daher ist, wenn sich Linke organisieren: Sie sollten das in den Strömungen jeweils für sich tun, um dann auf der Ebene der Bewegungen wieder kooperieren zu können. Konkret: Wer jetzt Mitglied der LINKEN wird, sollte dies nicht nur auf dem Papier sein. Sie oder er muss akzeptieren, dass die Beteiligung an Aktionen und Kampagnen Wahlerfolge jedenfalls nicht dauerhaft gefährden darf.

Wer dagegen hauptsächlich auf außerparlamentarische Aktionen orientiert ist, wer das staatliche Gewaltmonopol offensiv in Frage stellen möchte und wer auf den revolutionären Bruch setzt, sollte sich besser einer linksradikalen Organisierung, wie zum Beispiel der Interventionistischen Linken, anschließen. Das tut der Kooperation mit der LINKEN keinen Abbruch, sondern ist im Gegenteil die Voraussetzung dafür, dass diese solidarisch stattfinden kann.

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