Neun Feinde sollt ihr sein
Die Oberbürgermeisterwahl in Halle wird wohl erst in der Stichwahl entschieden. Die SPD droht zu verlieren
So lauschig sind Wählerforen selten: Auf der Terrasse einer Hallenser Gründerzeitvilla sitzen unter einem Sonnensegel sieben Männer und eine Frau. Sie wollen Rathauschef in der Saalestadt werden und haben guten Grund, sich ins Zeug zu legen. Vor ihnen auf einer Wiese des »Designcampus« haben sich viele Studenten der Kunsthochschule Burg Giebichenstein eingefunden. Es sind potenzielle Wähler. Fast alle wohnen in Halle, wie sie auf Nachfrage der Moderatorin mitteilen. Viele wollen am Sonntag zur Wahl gehen.
Als 2006 gewählt wurde, hielt sich das Interesse in engen Grenzen. Nur jeder dritte Hallenser hatte über den Nachfolger der Sozialdemokratin Ingrid Häußler mitbestimmen wollen. Dass in der Stichwahl die vormalige Sozialdezernentin Dagmar Szabados (SPD) vor dem CDU-Mann Bernhard Bönisch lag, verdankte sie dem Votum von nur 27,4 Prozent der Wähler. Nach nur einer Amtsperiode tritt die 64-jährige Szabados jetzt ab - offiziell aus Altersgründen. Auf ihre Nachfolger scheinen die Wähler neugierig zu sein: Umfragen deuten auf viel Interesse hin, und auch die Wählerforen waren »meist gut besucht«, sagt Swen Knöchel.
Arbeitsplätze für die »Callcenter-Hauptstadt«
Knöchel hat sie alle besucht: Der 38-Jährige bewirbt sich für die LINKE um den Chefposten in der Stadtverwaltung. Mit sieben Mitkandidaten - der achte, ein NPD-Mann, wird in der Regel nicht eingeladen - hat er in rund 30 Gesprächsrunden gesessen: beim Familienzentrum »Schöpfkelle« und der IHK, bei der Regionalzeitung und »lebensart e.V.«, dem »Fachzentrum für sexuelle Identität«. Viele politisch Interessierte, sagt Knöchel, seien noch unentschieden und wollten die Kandidaten besser kennen lernen.
Das Wahlergebnis ist offen - auch wenn der Christdemokrat Bönisch als Favorit gilt und in Umfragen stabil bei 36 Prozent liegt. Dagegen droht der SPD, die derzeit die OB in Sachsen-Anhalts Großstädten Magdeburg und Halle stellt, der Verlust eines Chefpostens. Sie hat mit Kay Senius zwar den Chef der Regionaldirektion für Arbeit aufgestellt. Er ist aber kommunalpolitisch unerfahren und kein gebürtiger Hallenser - was Bönisch aufgreift: In seinem Wahlslogan »Hallenser gehen wählen« ist das mittlere Wort nur sehr klein gedruckt. Mit Szabados, die in der Stadt nicht mehr sehr populär ist, lässt sich Senius um Wahlkampf kaum sehen.
Immerhin hat der 55-Jährige Chancen, in eine Stichwahl zu kommen. Wohl auch dank einer massiven Plakatkampagne hat er zuletzt Bernd Wiegand überholt. Der Dezernent für Sicherheit und Gesundheit ist in Halle nicht zuletzt deshalb bekannt, weil er seit langem im Clinch mit Szabados liegt und von ihr teilweise entmachtet wurde. Erst dann folgen Knöchel, die Bewerber der Grünen und der Piraten sowie zwei Parteilose.
Knöchel weiß, dass er ein Bergauf-Rennen läuft. Zwar sitzt der langjährige Mitarbeiter eines Finanzamts seit 2004 im Stadtrat und ist Stadtchef der Partei. An die Bekanntheit von Bönisch aber kommt er nicht heran. Zudem ist er kein Mann, der mit flotten Parolen einen Marktplatz bespielen kann. Knöchel trägt seine Argumente eher behutsam vor - dafür aber haben sie Hand und Fuß, etwa, wenn der Finanzexperte erklärt, warum die Kassen in Halle derart leer sind. »Wir sind eine wirtschaftlich prosperierende Region«, sagt er. Doch während Unternehmen in Magdeburg im Stadtgebiet sitzen, haben sie sich in Halle im Umland angesiedelt. Die Folge ist: Magdeburg kassiert pro Einwohner 75 Euro Gewerbesteuer, Halle nur 45 Euro. Und wenn sein CDU-Konkurrent erklärt, Arbeitsplätze seien »das Erste«, merkt Knöchel an, dass in der »Callcenter-Hauptstadt« Halle 17 000 Menschen zwar einen Arbeitsplatz haben, sich ihren mageren Lohn aber vom Amt aufstocken lassen müssen.
Schöner leben, ohne Favorit zu sein
Deutlich wird, dass Knöchel nicht nur Probleme anprangert, sondern sich auch um Ideen zur ihrer Behebung bemüht, so, wenn er »Zweckbündnisse« von Stadt und Umland beim Thema Müll vorschlägt. Generell wurde es als Signal für Seriösität wahrgenommen, dass die LINKE in der chronisch klammen Stadt einen ausgewiesenen Finanzfachmann ins Rennen schickt, der nicht in Versuchung ist, fehlendes Geld mit vollen Händen auszugeben. CDU-Mann Bönisch etwa rede auffallend viel über Sozialpolitik, sagt Knöchel und sieht das als Indiz, dass »andere Parteien unseren Wahlvorschlag ernst nehmen«.
Ob das auch für die Wähler gilt, ist offen. Derzeit rangiert Knöchel bei zwölf Prozent; 2006 kam der damalige LINKE-Kandidat auf 18,8 Prozent. Die Saalestadt gilt zwar als Hochburg der Partei. Doch während die Linkspartei bei Wahlen zu Stadtrat, Land- und Bundestag Erfolge hatte, kam sie bei Personenwahlen nicht recht zum Zug. Registriert wird immerhin, dass die LINKE inzwischen nicht mehr nur in Hochburgen wie den Plattensiedlungen Neustadt oder Frohe Zukunft Stimmen gewinnt, sondern auch in eher bürgerlichen Quartieren wie dem Paulusviertel. Knöchel bleibt optimistisch und erklärt, es lebe sich »ganz gut ohne Favoritenrolle«. Vielleicht bringen ja die 100 000 Postkarten, die derzeit verteilt werden, den entscheidenden Schub für die Stichwahl.
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