Brasilien buckelt nicht vor BASF
Kassationsurteil im Paulinía-Giftskandal: Weltgrößtes Chemieunternehmen muss Millionenentschädigungen zahlen
Jetzt muss BASF wohl doch etwas tiefer ins Portemonnaie greifen: Am Montag verurteilte ein Gericht in Brasilien den Chemiegiganten aus Ludwigshafen gemeinsam mit dem niederländischen Erdölriesen Royal Dutch Shell zur Hinterlegung von einer Milliarde Reals (rund 395 Millionen Euro) für einen Arbeiterentschädigungsfonds. Auf diese Höhe schätzt das Arbeitsgericht im Bundesstaat Sao Paulo den Wert der Entschädigungen, welche beide Betreiber der skandalträchtigen Agrochemie-Fabrik Paulinía (SP) bei Verurteilung im Fall einer noch anhängigen Sammelklage von über 1000 Geschädigten zu zahlen hätten. Bis zur endgültigen Entscheidung soll das Geld auf einem Sperrkonto eingefroren bleiben.
Bisher versucht der weltweit größte Hersteller von Agro-Chemikalien eine Verurteilung im Paulinía-Giftskandal über Revisionsverfahren auf die lange Bank zu schieben. Doch langsam wird die Luft für BASF dünner Das Unternehmen plant zwischen 2011 und 2015 weltweite Neuinvestitionen von rund 15 Milliarden Euro - davon 30 bis 40 Prozent in Schwellenländer in Asien und Lateinamerika. Ein letztes Urteil vom Mai 2012, wobei ein Gericht unterer Instanz das Begehren der Staatsanwaltschaft auf Hinterlegung der Millionengarantie abgelehnt hatte, ist mit der jüngsten Entscheidung hinfällig. BASF S.A., hundertprozentige Tochter des deutschen Mutterkonzerns, aber bleibt hart. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung kündigte die Firmenleitung Berufung an.
Brasiliens Justiz aber will sich vom »Global Player« aus Deutschland nicht in die Knie zwingen lassen. BASF und Shell hätten einen »kollektiven moralischen Schaden« verursacht, so Arbeitsrichterin María Inés Correa Cerqueira. Am Montag ordnete sie nicht nur die Millionengarantiehinterlegung an. Auch akzeptierte sie die Aufnahme von weiteren Klägern in den Entschädigungsprozess. Hatten bei Verfahrensbeginn vor fünf Jahren 772 Personen die Justiz angerufen, sind heute 1142 Geschädigte Mitankläger, so Informationen aus Gerichtskreisen.
Der Paulinía-Skandal ist ein Lehrstück dafür, wie Multis aus den Industrieländern Umwelt- und Sozialstandards durch Verlagerung in den Süden aushebeln. Laut dem Arbeitsministerium von Campinas nahe Paulinía ist die Pestizidfabrik Auslöser »einer der schlimmsten Umweltverschmutzungen, die jemals in Brasilien passiert sind«. In den letzten Jahren starben mindestens 61 Ex-Angestellte an Vergiftungsfolgen. »Es wurden viele Untersuchungen gemacht, die zu dem Schluss führen dass es Vergiftung des Wassers, der Luft und des Boden gab«, sagte Staatsanwältin Clarissa Ribeiro Ende Mai. Infolgedessen litten viele Personen an Krebs und Bauchspeicheldrüsenproblemen.
Über Jahrzehnte habe die Anlage 125 Kilometer nordwestlich der Millionenstadt Sao Paulo hunderte Angestellte und die Umgebung verseucht. 1974 in Betrieb genommen von Shell, kurzzeitig übernommen von der American Cyanamid, war die Anlage zur Herstellung hochgiftiger Schädlingsbekämpfungsmittel bis zur Schließung 2002 im Besitz von BASF. Das Unternehmen hatte die Fabrik 2000 gekauft stellte auch weiter das Pestizid Azodrin her. Nach hunderten Beschwerden wurde das Arbeitsministerium tätig und leitete das Klageverfahren ein. Ende 2002 erklärte BASF das Werk für geschlossen. Wenig später verboten die Behörden jegliche Nutzung der Anlagen.
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