Abgang Nr. 3

Auch Sachsens Verfassungsschutzboss Boos wurde in die Wüste geschickt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach den Chefs des Bundesamtes und des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm und Thomas Sippel, muss nun auch »Nr. 3«, Sachsens Geheimdienstchef Reinhard Boss, seine Koffer packen. Die »Pannen« bei der Fahndung nach den Mördern des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) sind zu gravierend.

Die Nachricht, dass er zurücktreten wolle, hat ihn angeblich am Dienstag kurz vor 23 Uhr erreicht. Ob es stimmt, dass er dann Trost nach gewohnter Art gesucht hat, lässt sich nicht klären. Sicher ist, Sachsens Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos brauchte in letzter Zeit viel Trost, denn: Die Vorwürfe, sein Landesamt habe vieles sträflich vernachlässigt, um der mordenden und raubenden NSU-Terrorzelle, die in Sachsen geheimes Quartier genommen hatte, auf die Spur zu kommen, wurden übermächtig. Hinzu kam die offenkundige Weigerung, nach dem Auffliegen der »Zwickauer Zelle« alles amtsmögliche zu tun, um das Versagen der Sicherheitsbehörden aufzuklären.

Eines muss Boos klar gewesen sein. Je mehr sich die Einschläge aus Vorwurf und Verdacht dem Innenministerium und seinem Chef Markus Ulbig (CDU) näherten, umso bedeutsamer wurde seine Funktion als letztes Bollwerk. Und bei Ulbig darf man die Prognose wagen, dass er in der wenigen Zeit, die ihm noch als Minister bleibt, kein Politprofi mehr wird. Als solcher hätte er nämlich spätestens nach dem Abgang von Bundesverfassungsschutzchef Heinz Fromm am 2. Juli und der Laufzettelvergabe an Thüringens Chefspion Thomas Sippel tags darauf gewusst, dass man nun erwartungsvoll Richtung Dresden schaut.

Doch Ulbig hat offenbar den Spruch über das, was einem Zuspätkommer passiert, vergessen. Noch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2011 in der vergangenen Woche sprach er seinem Geheimdienstchef nachdrücklich das Vertrauen aus. Boos und seine 200 Mitarbeiter hätten sich ganz intensiv in die Aufarbeitung der NSU-Taten eingebracht und alle Informationen aus dem Amt vorgelegt.

Als Journalistenkollegen den sächsischen Geheimdienstchef daraufhin fragten, ob er sich nach den Abgängen seiner Amtskollegen auf Bundesebene und in Thüringen nicht einsam fühle, schaute der überrascht, denn er fühle sich »wunderbar«.

Die Entlassung von Boos sei eine »notwendige Maßnahme«, allerdings keineswegs eine »hinreichende Maßnahme«, sagt Kerstin Köditz, Innenexpertin der Linksfraktion im sächsischen Landtag. Dass der Innenminister gestern das normale Landtagsprogramm kippte, um überraschend die Entlassung von Boos mitzuteilen, ist zum Gutteil Köditz geschuldet. Sie hatte in der vergangenen Woche bis zur Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission am Freitag Auskunft über Operationen anderer Geheimdienste auf sächsischem Boden verlangt. Und siehe da, plötzlich finden sich Protokolle über Abhörmaßnahmen des Bundesamtes von Ende 1998 in den NSU-Archiven des sächsischen Landesamtes. Es bleibt abzuwarten, ob das »Finden« der Protokolle bereits Anlass für Boos Abgang war oder ob der Inhalt ein Verweilen im Amt unmöglich gemacht hätte.

Der Innenminister kündigte an, den Fall von einem unabhängigen Experten unter Leitung des Innenministeriums untersuchen zu lassen. Auch wenn das nur eine Blaupause der Berliner »Bereinigungsart« von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist, so bleibt es doch ein Affront gegen die Untersuchungsausschüsse des sächsischen Land- und des Bundestages. Beide hatten schon vor Monaten getreu ihrem Auftrag alle Akten zum Thema NSU angefordert.

Die fünf Fraktionen im Sächsischen Landtag reagierten auf Ulbigs Darstellung mit jeweils fünfminütigen Repliken. Dabei erklärte Carsten Biesok von der mitregierenden FDP auf unnachahmliche Art, wieso er nicht glaube, dass bei den NSU-Untersuchungen irgendetwas verschleiert werden solle. Wäre dem so, hätte Boss Boos die Akten »ja auch heimlich schreddern können«.

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