Das dicke Ende kommt noch
Der Abzug aus Afghanistan ist notwendig - aber teuer
Ashley, Joshua R., Corporal 2. Law Enforcement Battalion, II. Marine Expeditionary Force. Der junge Mann, einst Kapitän der Wasserballmannschaft der Etiwana High School, ist bislang der letzte in der Liste der in Afghanistan umgekommenen US-Soldaten. Er starb am 19. Juli in der Provinz Helmand. Vor seinem stehen 2050 andere Namen in der Totenliste. Insgesamt »fielen« in Afghanistan seit 2001 über 3100 ISAF-Soldaten, darunter 52 von der Bundeswehr.
Zehn Jahre dauerte der Krieg, der diesem vorausgegangen war. Im Dezember 1979 eilten die Truppen der Sowjetunion »dem Bruderland zu Hilfe«. Am Ende stand der schmachvolle, aber vergleichsweise simple Abzug. »Wir haben in den zehn Jahren Afghanistan-Krieg 15 000 Mann verloren - ich glaube nicht, dass es den Amerikanern anders ergehen wird«, warnte Anfang des Jahrtausends General Boris Gromow, der als letzter russischer Soldat das Schlachtfeld am Hindukusch verlassen hatte. Da waren bereits eine Million Afghanen umgekommen, acht Millionen ins Ausland geflüchtet. Wie viele Tote wird man bilanzieren, wenn Ende 2014 - wie es heißt - die letzten westlichen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen sind?
Nichts rechtfertigt den Blutzoll. Aber: Jeder Tote bringt materiellen Gewinn, Kriege sind ein Geschäft. Selbst noch beim Rückzug. Wenn die westlichen Truppen abziehen, so haben sie nach vorläufigen Schätzungen von NATO-Logistikern 140 000 bis 150 000 Container im Gepäck. Knapp 10 000 Fahrzeuge aller Art sind aus dem Land zu schaffen. Die USA werden einen Gutteil ihrer minengeschützten Fahrzeuge der afghanischen Armee übergeben. Als »Aufbauhilfe«. Anderes verschrottet man einfach. Die Produzenten freut's. Der normaler Gütertransport raus aus Afghanistan wird auch lukrativ für regionale Fuhrunternehmer. Derzeit zahlt man für den Transport eines Seecontainers per Lkw rund 5000 Dollar. Demnächst werden die Speditionsbesitzer, die zumeist aus Pakistan kommen, beide Hände aufhalten. Der Konkurrenzkampf unter den ISAF-Verbündeten um Ladekapazitäten spitzt sich zu. Wie schnell man die Transportrouten unterbrechen und Preise in die Höhe treiben kann, haben die Taliban wie die pakistanische Regierung mehrfach bewiesen.
Die Bundeswehr verfügt in Afghanistan über knapp 1300 geschützte und 500 normale Militärfahrzeuge. Dazu kommen 28 Schützenpanzer »Marder«, jeder wiegt knapp 40 Tonnen. Noch schwerer sind die Panzerhaubitzen, von denen fünf am Hindukusch stationiert sind. Die Waffensysteme will man nicht auf dem Landweg aus Afghanistan schaffen. Eigene Flugzeuge, die solche Lasten transportieren könnten, hat Deutschland nicht. Wohl aber gute Erfahrungen mit russischen und ukrainischen Fliegern.
Ein Flieger für zwei Haubitzen
In eine Antonow-124-Maschine passen zwei solcher Haubitzen, drei Schützenpanzer oder vier Dingo-Transporter. Derzeit fliegen sieben solcher Jets Lasten für die NATO. Man hat die SALIS-Verträge, an denen Deutschland großen Anteil nimmt, bereits verlängert. Sechs Maschinen stehen danach in Leipzig für tägliche Transportaufgaben bereit. Für jeden Flug dieser Mietflugzeuge nach Masar-i-Scharif, dem größten Bundeswehr-Stützpunkt im Norden Afghanistans, und zurück, zahlt die Bundeswehr - also der Steuerbürger - 420 000 Euro. Die bislang gecharterten Maschinen werden nicht ausreichen, doch mehr als 20 solcher Großraumtransporter sind nicht auf dem Markt. Wo viel Nachfrage ist, da klettern die Preise. Derzeit liegen sie pro Flugstunde bei 25 000 Euro.
In der heißen Phase des Abzuges soll jede Maschine mehrmals zwischen Masar-i-Scharif und einem Flugplatz am Schwarzen Meer pendeln. Andere Truppen, vor allem die der USA, orientieren sich auf das pakistanische Karatschi am Indischen Ozean oder auf Bahrain sowie Qatar. Dort will man Container und Fahrzeuge auf Schiffe verladen. Dann geht es zum Teil durch den Suezkanal und durch das Mittelmeer heimwärts. Aus dem nördlichen Afghanistan wird man vieles auch nach Uljanowsk, der Geburtsstadt Lenins, fliegen, um das Material dort auf russische Eisenwaggons umzuladen.
Der Eisenbahn - es gibt seit einigen Monaten eine halbwegs intakte kurze Strecke zur nördlichen Grenze Afghanistans - ist vor allem vorbehalten, militärisch nicht Relevantes zu fahren. Viele Monate wird es dann auf Tour sein, die Züge durchqueren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Russland, Lettland und Litauen. Dort gibt es den bekannten Ostsee-Fährhafen Klaipeda, ein »Projekt der Freundschaft« zwischen der UdSSR und der DDR, das sich nach dem Zerfall beider Staaten beim Abzug der russischen Truppen aus Deutschland bewährt hat. Der damaligen Ausgangspunkt Sassnitz, wird nun wieder Umschlagplatz - in die andere Richtung. Rund 6000 Seecontainer addierten die Bundeswehr-Logistiker bislang, gefüllt mit allem, was man zum Leben in den afghanischen Stützpunkten brauchte.
Überflugrechte, Transitgenehmigungen, Hafen- und anderer Umschlag kosten horrende Summen - und vieles muss politisch bezahlt werden. Alle Abzugsplanungen stehen im Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben und realen Möglichkeiten. Insbesondere Deutschland hat da ein Problem. Im kommenden Jahr sind Bundestagswahlen. Die großen Parteien wollen den Abzug als Erfolg ihrer Politik verkaufen, er muss also sichtbar sein.
Die Wahlen und die Sicherheit
Doch: Je weniger Truppen noch im Land sind, umso verwundbarer sind sie. Die Bundeswehr ist verantwortlich für die Sicherheit in der Nordregion, durch die gehen die meisten bodengebundenen Transporte. Das heißt, deutsche Soldaten müssen fragile Rückzugswege absichern. Dazu braucht man zusätzliche Kampftruppen. Aus diesem Grund will man Kampfhubschrauber, die all die Jahre zuvor nicht einsatzklar waren, in den Krieg schicken.
Neben den Kampftruppen braucht man 600 bis 1000 Soldaten, die sich nur um die Logistik kümmern. Auch muss die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte forciert werden. Der einheimischen Polizei und der afghanischen Armee kommt eine bedeutende Rolle bei der Sicherung des Rückzugs ihrer »Verbündeten« zu.
Ob sie diesen Auftrag erfüllen oder ob sie lieber angriffslustige, oppositionelle Gruppen gewähren lassen, um selbst nicht in deren Schussfeld zu gelangen, ist ebenso offen wie die Möglichkeit, dass künftige Übereinkommen zwischen der Kabuler Regierung und den Taliban auf Kosten der abziehenden Besatzer vorbereitet werden.
So wird es also weitere Transporte wie jenen geben, mit dem der US-Marine Joshua R. Ashley in seinen Heimatort Rancho Cucamonga (Kalifornien) überführt wurde.
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