Verhaltener Optimismus auf der Schiene
Bahnvorstand sieht sich »durchgängig stabil unterwegs« / Für den Güterverkehr gilt dies freilich nicht
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat sich die Zahl der von der Deutschen Bahn (DB) AG beförderten Fahrgäste (ohne die britische Tochtergesellschaft Arriva) gegenüber dem ersten Halbjahr 2011 um fast 40 Millionen auf über eine Milliarde Reisende erhöht. Dies war ein Zuwachs von rund vier Prozent. Ulrich Homburg, DB-Vorstand für Personenverkehr, begründete diesen Erfolg damit, dass »wir durchgängig stabil unterwegs sind« und weniger Komfortmängel auftreten. Das Vertrauen der Reisenden in die Deutsche Bahn sei gewachsen.
Während die Zahlen des Fernverkehrs nicht überzeugen konnten, wurde im Regional- und Stadtverkehr der Zuwachs von vier Prozent in den Ballungszentren erreicht. Die Verkehrsleistung des hauptsächlich in den alten Bundesländern vertretenen Bahnbusverkehrs sank um sieben Prozent. Die sinkenden Schülerzahlen sollen daran schuld sein.
Das Haupt-Sorgenkind im DB-Konzern ist indes der Schienengüterverkehr mit über zwei Millionen weniger Tonnenkilometer. Darin spiegele sich die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland und Europa, die an Dynamik verlor, sagte Bahnchef Rüdiger Grube.
Mit dem EBIT, also dem Ergebnis vor Steuern, ist Grube sehr zufrieden, ebenso mit dem »Return on Capital Employed« - diese Bilanzkennziffer, die das Verhältnis von Gewinn und eingesetztem Kapital wiedergibt, lag im ersten Halbjahr bei acht Prozent. Mittelfristig werden zehn Prozent angepeilt; dieser Wert war einst für den anvisierten Börsengang vorgesehen. Nicht zu übersehen ist auch, dass die Verschuldung der Deutschen Bahn - bei rund 17 Milliarden Euro - nahezu stagniert, während man sich zu Beginn der Bahnreform 1994 gebrüstet hatte, schuldenfrei zu sein.
Der Vorstand gab sich auf der Bilanzpressekonferenz in Berlin summa summarum recht zufrieden mit den Ergebnissen. Die Gesichter strahlten jedoch nicht. Denn die Verschärfung der Staatsschulden- und Wirtschaftskrise in Europa wird sich auch bei der Deutschen Bahn auswirken, besonders im Bereichen Transport und bei der Spedition Schenker.
Nicht gesprochen wurde über die Misere, mit der sich die Eisenbahner im Personenverkehr plagen. Den offiziellen Unterlagen ist zu entnehmen, dass sich der Austausch der Radsätze für die ICE-3 und ICE-T weiter verzögert. Er war nach der Entgleisung eines Zuges am 9. Juli 2008 notwendig geworden. Doch die Industrie entwickelt die neuen Radsätze immer noch und muss sie dann noch erproben. Vor 2016 wird die Umrüstung der ICE nicht beendet sein. In Verzug ist auch der Hersteller Bombardier mit der Auslieferung von 119 Triebwagen der Baureihe 442 für den Nahverkehr.
Bei der Bilanz zählen aber nur die Einnahmen und der Gewinn, so dass Konzernchef Grube erklären konnte: Der Personenverkehr und die Netzsparte, die die Trassen- und Bahnhofsgebühren kassiert, seien die tragenden Säulen des Konzerns. Sie stünden für eine »robuste Entwicklung«.
Angesichts dieser Äußerungen fragt man sich, ob die Bahnspitze den Schienengüterverkehr - ohnehin mit einem nicht berauschenden Anteil von 17 Prozent am Verkehrsmarkt - bereits abgeschrieben hat. Nach Ansicht des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) lässt sich das negative Ergebnis im Güterverkehr nicht allein mit der schwächelnden Konjunktur begründen. »Bei Aus- und Neubauten der Schieneninfrastruktur müssen endlich die Belange des Personen- als auch des Güterverkehrs berücksichtigt werden«, forderte der VCD-Bundesvorsitzende Michael Ziesak. Der ökologisch orientierte Verein fordert deshalb die Deutsche Bahn und die Politik auf, die Weichen für den Schienengüterverkehr zu stellen. Allein den Blick auf den Personenverkehr zu lenken, reiche nicht aus. Jetzt zeigten sich die Fehler der Vergangenheit: Die Gleislänge wurde seit 1994 um 17 Prozent verkürzt, die Anzahl der Weichen um die Hälfte reduziert, etwa ein Drittel der Bahnhöfe geschlossen. Bei den derzeitigen Investitionsprogrammen komme der Güterverkehr zu kurz. Michael Ziesak fordert daher ein leistungsfähiges Schienennetz für den Personen- und den Güterverkehr sowie faire Wettbewerbsbedingungen. »Während für Güterzüge auf jeder Strecke eine hohe Nutzungsgebühr fällig wird, sind auf der Straße nur Lkw von zwölf Tonnen Gesamtgewicht an mautpflichtig - und das auch nur auf Autobahnen und wenigen Bundesstraßen.«
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