Kein Geld für Strom

Immer mehr Bundesbürger können Energiepreise nicht zahlen

  • Lesedauer: 4 Min.
Immer mehr Bundesbürgern droht die Energiearmut. Schuld daran sind vor allem steigende Strompreise. Allein zwischen 2000 und 2010 haben sie um teilweise 60 Prozent zugelegt. Die nun eingeleitete Energiewende wird den Saft aus der Steckdose nochmals verteuern. Vor allem für Hartz-IV-Betroffene hat das fatale Konsequenzen. Im vergangenen Jahre drehten die Versorger 200 000 von ihnen zumindest zeitweise den Strom ab. Die Bundesregierung kennt das Problem, blieb bislang aber untätig.
Andreas* ist manisch depressiv. Wenn es ihn packt, dann geht er für Wochen nicht raus, er isst kaum was. »Offizielle Briefe landen dann auf einem Stapel«, sagt er. »Ungeöffnet, versteht sich.« Bei der Telekom hat er lange schon keinen Anschluss mehr, weil er Schulden hat und sie nicht begleichen kann. »Strom haben sie mir vor anderthalb Jahren abgestellt. Da lebte ich in Hanau.« Es war in der Zeit, als er einen Zusammenbruch hatte. Das Jobcenter überwies zwar bis zum Ende des Bewilligungszeitraums die Miete, aber die Stadtwerke Hanau ließen sich nicht hinhalten. Bald war die Stromleitung tot. »Wenn man es gewohnt ist, auf den Schalter zu drücken, und es kommt das Licht, dann ist das ein seltsames Gefühl, wenn alles duster ist. Ich machte mir überall Teelichter an. Zum Glück hatte ich einen Herd, der mit einer Gasflasche betrieben wurde, und ich hatte einen Ofen.«

Erst jetzt kümmerte er sich um die angehäufte Korrespondenz. Die letzte Mahnung über 1217,84 Euro kam am 5. Januar 2011. Die Sperrung der Stromversorgung ließ nicht lange auf sich warten, der Vollzug wurde ihm bereits am folgenden Tag in einem Schreiben mitgeteilt: »Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, auf unsere Mahnung haben Sie bis zum heutigen Tag nicht reagiert. Wegen der unten aufgeführten immer noch offenen Forderungen sahen wir uns leider gezwungen, die Strom- bzw. Gaslieferung einzustellen.« Die Sperrkosten betrugen 78,72 Euro, das Entsperren 93,68 Euro.

Andreas mag ein Extremfall sein, doch Fakt ist, dass immer mehr Bundesbürger ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Überdurchschnittlich häufig trifft es dabei Hartz-IV-Bezieher wie Andreas. Einer Schätzung des Paritätischen Gesamtverbandes zufolge saßen allein im letzten Jahr mehr als 200 000 von ihnen zumindest zeitweise im Dunkeln.

Das Problem ist hausgemacht. Während das Amt die Kosten für Heizung und Miete bis zu einer bestimmten Höhe übernimmt, sind die Stromkosten als Pauschale im Hartz-IV-Regelsatz von derzeit 374 Euro enthalten. Doch der Festbetrag hinkt den dynamischen Marktpreisen hinterher. Eine Studie des Paritätischen Gesamtverbandes kommt zu dem Schluss, dass »der Preis für Strom stärker steigt als die Fortschreibung des Regelsatzes«. Demnach ergeben sich für einen Paarhaushalt mit zwei Kindern bereits heute Differenzen zwischen 123 bis 169 Euro pro Jahr. Geld, dass die Betroffenen an anderer Stelle einsparen müssen.

Wer gar nicht mehr weiter weiß, kann beim Jobcenter ein zinsloses Darlehen beantragen. Im Juni dieses Jahres wurde hier ein neuer Rekord vermeldet: Mehr als 17 600 mal vergaben die Jobcenter so ein Darlehen - pro Monat wohlgemerkt. Damit hat sich die Zahl dieser Kredite seit 2007 nahezu verdoppelt. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren Stromkosten der häufigste Grund für einen Antrag.

Sozialverbände fordern nun Stromrabatte und Sondertarife für Bedürftige. Doch das zuständige Bundesarbeitsministerium lehnt solche Zahlungen ab. Erst im Juni hatte es im Ministerium ein vertrauliches Gespräch zum Thema Energiekosten gegeben. Mit am Tisch saßen neben Vertretern des Ressorts auch die Präsidenten von Caritas, Diakonie, Rotem Kreuz und Paritätischem Gesamtverband. Nach dem Treffen versprach der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel, die Vergabepraxis bei Darlehen für Stromschulden »zu überprüfen«. Unverbindlicher geht es nicht. Dabei dürfte auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) klar sein, dass zinslose Kredite keine Lösung des Problems steigender Strompreise sind. Doch eigene Vorschläge blieb die Ressortleiterin bislang schuldig.

Die kommen dafür von der Opposition. So fordert Caren Lay, die verbraucherpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, »Stromsozialtarife und staatliche Unterstützung beim Kauf energieeffizienter Geräte für einkommensschwache Haushalte«. Zudem sollten Stromsperrungen für Privathaushalte generell verboten werden. Lay plädiert zudem für »die Wiedereinführung einer staatlichen Preisaufsicht, um Strompreise wirksam zu regulieren und Preiswucher zu unterbinden«. Der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion will eine »verfassungskonforme Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze«. Da die Strompreise binnen fünf Jahren um bis zu 40 Prozent gestiegen seien, müsse der Regelbedarf »Preisveränderungen besser berücksichtigen«, heißt es in einem energiepolitischen Papier der SPD-Linken Hilde Mattheis. Alternativ könne es »eine kostenlose Mindestversorgung« mit Strom für Hartz-IV-Empfänger geben.

Selbst Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) musste jüngst einräumen, dass ein hoher Strompreis einkommensschwache Schichten manchmal härter treffe, »weil sie über weniger energieeffiziente Hausgeräte« verfügen. Doch finanzielle Hilfe beim Umstieg lehnt der Christdemokrat kategorisch ab. Und Andreas? Er hat gehört, dass es in London für finanzschwache Kunden Münzautomaten im Haus geben soll. Nur wenn sie Geld einwerfen, bekommen sie Strom. Haben sie keins, bleibt es dunkel. Andreas meint, ein solcher Automat hätte ihm viel Ärger erspart.

*Name von der Redaktion geändert

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