Kein Geld für Strom
Immer mehr Bundesbürger können Energiepreise nicht zahlen
Erst jetzt kümmerte er sich um die angehäufte Korrespondenz. Die letzte Mahnung über 1217,84 Euro kam am 5. Januar 2011. Die Sperrung der Stromversorgung ließ nicht lange auf sich warten, der Vollzug wurde ihm bereits am folgenden Tag in einem Schreiben mitgeteilt: »Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, auf unsere Mahnung haben Sie bis zum heutigen Tag nicht reagiert. Wegen der unten aufgeführten immer noch offenen Forderungen sahen wir uns leider gezwungen, die Strom- bzw. Gaslieferung einzustellen.« Die Sperrkosten betrugen 78,72 Euro, das Entsperren 93,68 Euro.
Andreas mag ein Extremfall sein, doch Fakt ist, dass immer mehr Bundesbürger ihre Stromrechnung nicht zahlen können. Überdurchschnittlich häufig trifft es dabei Hartz-IV-Bezieher wie Andreas. Einer Schätzung des Paritätischen Gesamtverbandes zufolge saßen allein im letzten Jahr mehr als 200 000 von ihnen zumindest zeitweise im Dunkeln.
Das Problem ist hausgemacht. Während das Amt die Kosten für Heizung und Miete bis zu einer bestimmten Höhe übernimmt, sind die Stromkosten als Pauschale im Hartz-IV-Regelsatz von derzeit 374 Euro enthalten. Doch der Festbetrag hinkt den dynamischen Marktpreisen hinterher. Eine Studie des Paritätischen Gesamtverbandes kommt zu dem Schluss, dass »der Preis für Strom stärker steigt als die Fortschreibung des Regelsatzes«. Demnach ergeben sich für einen Paarhaushalt mit zwei Kindern bereits heute Differenzen zwischen 123 bis 169 Euro pro Jahr. Geld, dass die Betroffenen an anderer Stelle einsparen müssen.
Wer gar nicht mehr weiter weiß, kann beim Jobcenter ein zinsloses Darlehen beantragen. Im Juni dieses Jahres wurde hier ein neuer Rekord vermeldet: Mehr als 17 600 mal vergaben die Jobcenter so ein Darlehen - pro Monat wohlgemerkt. Damit hat sich die Zahl dieser Kredite seit 2007 nahezu verdoppelt. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren Stromkosten der häufigste Grund für einen Antrag.
Sozialverbände fordern nun Stromrabatte und Sondertarife für Bedürftige. Doch das zuständige Bundesarbeitsministerium lehnt solche Zahlungen ab. Erst im Juni hatte es im Ministerium ein vertrauliches Gespräch zum Thema Energiekosten gegeben. Mit am Tisch saßen neben Vertretern des Ressorts auch die Präsidenten von Caritas, Diakonie, Rotem Kreuz und Paritätischem Gesamtverband. Nach dem Treffen versprach der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel, die Vergabepraxis bei Darlehen für Stromschulden »zu überprüfen«. Unverbindlicher geht es nicht. Dabei dürfte auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) klar sein, dass zinslose Kredite keine Lösung des Problems steigender Strompreise sind. Doch eigene Vorschläge blieb die Ressortleiterin bislang schuldig.
Die kommen dafür von der Opposition. So fordert Caren Lay, die verbraucherpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, »Stromsozialtarife und staatliche Unterstützung beim Kauf energieeffizienter Geräte für einkommensschwache Haushalte«. Zudem sollten Stromsperrungen für Privathaushalte generell verboten werden. Lay plädiert zudem für »die Wiedereinführung einer staatlichen Preisaufsicht, um Strompreise wirksam zu regulieren und Preiswucher zu unterbinden«. Der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion will eine »verfassungskonforme Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze«. Da die Strompreise binnen fünf Jahren um bis zu 40 Prozent gestiegen seien, müsse der Regelbedarf »Preisveränderungen besser berücksichtigen«, heißt es in einem energiepolitischen Papier der SPD-Linken Hilde Mattheis. Alternativ könne es »eine kostenlose Mindestversorgung« mit Strom für Hartz-IV-Empfänger geben.
Selbst Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) musste jüngst einräumen, dass ein hoher Strompreis einkommensschwache Schichten manchmal härter treffe, »weil sie über weniger energieeffiziente Hausgeräte« verfügen. Doch finanzielle Hilfe beim Umstieg lehnt der Christdemokrat kategorisch ab. Und Andreas? Er hat gehört, dass es in London für finanzschwache Kunden Münzautomaten im Haus geben soll. Nur wenn sie Geld einwerfen, bekommen sie Strom. Haben sie keins, bleibt es dunkel. Andreas meint, ein solcher Automat hätte ihm viel Ärger erspart.
*Name von der Redaktion geändert
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.