Es gibt eine Eurokrise, aber keine Urlaubskrise
Deutsche Reiseunternehmen hoffen nach einem guten Sommergeschäft auf ebensolchen Winter. Für sie steht fest:
Willi Verhuven, Vorstandschef und Eigentümer von alltours, einziges Familienunternehmen unter den Top 10 der europäischen Reiseunternehmen, hatte in diesem Frühjahr für die deutsche Branche ein Zeichen gesetzt. »Wenn es die Politik schon nicht tut, müssen wir eben selbst die Marke Griechenland retten«, sagte er damals gegenüber »nd«. Verhuven beließ es nicht beim Appell, sondern alltours erweiterte umgehend sein Griechenlandangebot, knüpfte eine neue Direktkooperation zu einer Hotelkette, senkte die Preise. Ein knappes halbes Jahr später kann Panagiotis Skordas, Direktor der Griechischen Zentrale für Fremdenverkehr in Deutschland, etwas erleichtert feststellen: »Nachdem die Buchungen im Frühjahr 35 Prozent unter dem vorjährigen Wert lagen, hat sich der Trend völlig gedreht.« Die Sommersaison könnte (nach dem Rekordjahr 2011) zumindest auf dem Niveau von 2010 beendet werden - was wiederum neue Hoffnungen für die bevorstehende Wintersaison wecke.
Für diese hat sich alltours insgesamt eine Fünf-Prozent-Umsatzwachstumsrate gesetzt. Wobei die Preise, wie Geschäftsführer Dieter Zümpel mitteilt, »lediglich bei Fernreisen im niedrigen einstelligen Bereich zunehmen werden«. Länder wie Tunesien und Ägypten - nach dem »arabischen Frühling« von deutschen Touristen bekanntlich gemieden - »schicken sich an, an die einstigen Gästezahlen anzuknüpfen«, stellt Zümpel in Aussicht. So wolle man u. a. in Ägypten mit dem erstmals angebotenen alltours-Club Aqua Vista ein neues Luxuszeichen setzen und in Tunesien der enormen Nachfrage nach Eventwochen wie etwa Tanzkursen mit Abschlussball noch besser gerecht werden.
alltours-Eigner Verhuven steht für die ganz prosaische Geschäftspraxis, dass letztlich für den Kunden immer der Preis kaufentscheidend ist. Doch sein Unternehmen bietet durchaus auch innere, auf ihre Weise nachhaltige Buchungsargumente: keine Shareholder-Value-Verpflichtung, keine branchenfremden Beteiligungen, alle Gewinne bleiben im Unternehmen, alle Auszubildenden werden übernommen, Firmen-Mindestgehalt von 26 200 Euro jährlich, alle ausländischen Reiseleiter mit deutschen Verträgen. Stellt man dazu in Rechnung, dass alltours an seinem speziellen Griechenlandengagement laut Geschäftsführer Zümpel »kein Geld verdient«, kann das für den, der so etwas als Kunde honoriert, schon eine Werbung besonderer Art sein.
Erste Hotelflatrate
»Selten wurden Buchungsentscheidungen für oder gegen ein Urlaubsland so emotional und irrational getroffen«, sagte Dr. Volker Böttcher, Geschäftsführer von TUI Deutschland mit Blick auf die Situation in Griechenland. Er appellierte an die Bundesbürger: »Sie erleben ein gastfreundliches Land, profitieren von modernisierten Hotels und einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Wer nach Hellas reist, leistet einen persönlichen Beitrag für das so krisengeschüttelte Land.« Und da bekanntlich persönliche Anschauung besser als jede Theorie ist, schickte der Branchenriese Anfang Juni Hunderte seiner Reisebüroexpedienten zu Schulungen und Exkursionen in das gebeutelte Land. Wenn auch die Zahl der Buchungen weiter zweistellig unter dem Vorjahresniveau liege, so steige die Kurve doch seit einigen Wochen wieder aufwärts, sagte Böttcher.
TUI will künftig dem neuen Reiseverhalten seiner Kunden, die das Unternehmen als »zunehmend multimediale Reiseplaner« bezeichnet, mit einem komplett neuen Katalogkonzept Rechnung tragen und verknüpft deshalb die traditionellen Kataloge mit dem Internet. Mittels Scan-Codes ist es nun bei ausgewählten Hotels möglich, auf visuelle 360-Grad-Rundgänge zu gehen, Internetlinks in den Katalogen schaffen eine Verbindung zwischen on- und offline. Zusatzinfos zu den Katalogbeschreibungen gibt es im Web unter www.tui-katalog.info.
Auch bei der »Schlacht« um die für alle Veranstalter lukrative Klientel der Senioren gibt der Branchenführer den Maßstab vor - und bietet als erster eine Hotelflatrate für Langzeiturlauber. Was heißt: Wer zwölf Wochen bucht, kann den Rest der Saison kostenfrei in der Sonne bleiben und zwischendurch sogar noch einmal nach Hause fliegen, um nach dem Rechten zu sehen.
Falsches Bauchgefühl
Das kostbarste aktuelle Werbebanner von Dertour, zu dessen Gruppe auch Meier's Weltreisen und ADAC Reisen gehört, war dieser Tage am Sinken - nun aber flattert sie wieder über alle TV-Kanäle: nämlich die Flagge der MS »Deutschland«. Das Schiff, dessen einziger Agent Dertour ist, liegt derzeit als deutsches Olympiahotel und offizielles olympisches Gästeschiff in London. Justament war es jetzt in die Schlagzeilen gepusht worden, weil es die Deilmann-Reederei aus Kostengründen nach Malta ausflaggen wollte (was ausnahmslos alle anderen deutschen Kreuzfahrtschiffe übrigens längst getan haben). Doch die Reederei erklärte nun, einlenken zu wollen.
Mit Blick auf die Wintersaison sei hoffnungsmachend, dass die Mittelmeerziele, das laut Michael Frese, Sprecher der Geschäftsführung, umsatzstärkste Dertour-Standbein, »hoch im Plus liegen«. Ausnahmen seien - »aus einem sicher falschen Bauchgefühl der deutschen Touristen heraus« - leider Zypern und Griechenland. Bei Griechenland verweist Frese auf nd-Nachfrage übrigens ausdrücklich lobend auf die entsprechenden Förderinitiativen des Mitwettbewerbers alltours. Für Ägypten und Tunesien habe man das Kontingent für den kommenden Winter sogar um je 30 Prozent aufgestockt.
Matthias Rotter, Bereichsleiter für Meier's Weltreisen, betont mit Blick auf die Wintersaison, dass sich langfristiges touristisches Engagement in Drittweltländern auszahle. »Die beste Entwicklungshilfe war und ist es, dauerhaft dort zu bleiben«, betont er. Exemplarisch sei dafür Myanmar. »Wir haben hier bereits lange Geschäfte gemacht, bevor die Generäle kamen, und wir hatten dann, ohne uns zu kompromittieren, den langen Atem bis zur demokratischen Entwicklung«, sagt er.
Miese Rolle der Medien
»Es gibt zwar eine Eurokrise, aber keine Urlaubskrise«, ist Dr. Peter Fankhauser, Vorstandsvorsitzender der Thomas Cook AG mit seinen Marken Neckermann, Thomas Cook, Öger Tours und Bucher zuversichtlich in Hinsicht auf die Buchungszahlen der Sommer- wie auch der kommenden Wintersaison. Das sei ein Zeichen, dass die Deutschen bei der Urlaubsplanung flexibel seien. Statt nach Griechenland reisen sie derzeit vor allem nach Spanien oder in die Türkei. Auch Fernziele stehen hoch im Kurs. »Wir hatten noch nie so viele Fernreisengäste wie in diesem Jahr, unsere Buchung liegen im zweistelligen Plus.«
In Bezug auf Griechenland, das trotz des gewaltigen Einbruchs noch immer auf Platz fünf der beliebtesten Reiseländer der Thomas Cook Kunden liegt, fand er deutliche Worte zur Rolle der Medien. »Das Land leidet nicht nur gewaltig unter der Eurokrise, sondern auch durch das negative Image in den deutschen Medien. Gibt es negative Schlagzeilen, sinken die Buchungen, ist einige Zeit Ruhe, steigen sie wieder. Wer das Land wirklich unterstützen will, der sollte gerade jetzt seinen Urlaub dort verbringen.« In vielen Gesprächen vor Ort habe man von den griechischen Partnern gehört, dass sie sich lieber selbst helfen wollen als unter einen Rettungsschirm zu kriechen.
Ob zum Teil extreme Schnäppchenpreise wirklich helfen, die fatale Situation zu entschärfen, wird sich zeigen. Denn die Frage bleibt, was davon wirklich bei den Leuten vor Ort ankommt.
Tunesien boomt
Man kann für die Griechen nur hoffen, dass sich der Tourismus bei ihnen genau so schnell erholt, wie in Tunesien, das »sein Comeback geschafft hat«, sagte Sören Hartmann, Sprecher der Geschäftsführung von REWE Touristik mit ihren Marken ITS, Jahn Reisen und Tjaereborg gegenüber »nd«. Reisen dorthin stehen derzeit hoch im Kurs, stiegen in der Sommersaison im Vergleich zum Vorjahr um 92 Prozent und liegen derzeit wieder auf dem guten Niveau von 2010. »Als deutscher Marktführer bei Tunesienurlaub freut uns das besonders«, so Hartmann.
Länder wie Tunesien oder die Türkei profitieren in Deutschland derzeit massiv vom schlechten Leumund Griechenlands. Merkwürdigerweise scheren sich andere viel weniger um den Euro, insbesondere Russen und Engländer haben - anders als die Deutschen - keinerlei übertriebene Ängste vor Urlaubspleiten, so Hartmann. Dazu gebe es auch gar keinen Grund. »Und sollte doch mal was in die Hose gehen, dann sind wir als Veranstalter ja auch noch da.«
Dass sich die Veranstalter um ihre Gäste in schwierigen Situationen kümmern, haben sie oft genug bewiesen. Und sicher nicht nur wegen des guten Rufs und des Umsatzes. Doch um den geht es selbstverständlich auch immer.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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