Im Vattenfall-Land

Wegen des nahen Tagebaus ist Jänschwalde deutlich abgesackt - der Betreiber regelt Schäden ganz nach Gutsherrenart

  • Roland Heine, Jänschwalde
  • Lesedauer: 6 Min.
Um zwölf Zentimeter hat sich der Boden im Lausitzdorf Jänschwalde in den letzten Jahren gesenkt, weil für den Braunkohlentagebau vor dem Dorf massiv Grundwasser abgepumpt wird. Häuser bekommen Risse, Bäume sterben ab - doch im Revier entscheidet allein der Tagebaubetreiber Vattenfall, was ein Bergschaden ist und wofür es Entschädigungen gibt.

Ganz geheuer ist dem Mann am Gartentor die Sache nicht. Ja, das Jänschwalder Trauerspiel werde er dem Besucher zeigen, aber seinen Namen möchte er dann lieber doch nicht in der Zeitung sehen. »Das hier ist Vattenfall-Land«, sagt der Mann und schaut hinüber zu den neun Kühltürmen des Kohlekraftwerks, über denen auch heute eine riesige weiße Wolke steht. Der Mittvierziger, gelernter Schlosser, stammt aus dem kleinen Jänschwalde im Südosten Brandenburgs, das sich in den letzten Jahren so verändert hat.

Schon ein Blick auf die Karte zeigt: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat Jänschwalde eingekeilt - im Westen Deutschlands zweitgrößtes Kohlekraftwerk, im Osten der kilometerlange, um die 40 Meter tiefe Braunkohlentagebau. Jänschwalde steht zwar nicht auf der Liste der zu räumenden Dörfer, doch seit die riesigen Bagger bis auf Hörweite herangerückt sind, ist der Ort sozusagen ins Rutschen gekommen. Denn um die Kohle fördern zu können, muss Vattenfall das Grundwasser stark absenken - mit Folgen für die Torfböden der ganzen Region. Sie trocknen aus und sacken zusammen.

Jänschwalde liegt jetzt zwölf Zentimeter tiefer, zehn sind es beim Nachbarort Heinersbrück. Die Zahlen wurden vor wenigen Wochen vom Landesbergamt erstmals genannt - auf Drängen der Gemeinden. Denn etliche Häuser und Straßen haben Risse bekommen, Bäume und Büsche vertrocknen. »In Jänschwalde wurden an Vattenfall etwa 70 Mal Bergschäden allein an Häusern gemeldet«, sagt der Schlosser. Rund um den Tagebau waren es alles in allem 513 Bergschadensmeldungen. »Aber das ist nur die offizielle Vattenfall-Zahl. Gerade die alten Leute hier halten oft still - da wird der Riss im Haus eben hingenommen, der tote Baum nur abgesägt.«

Gubener Straße, Lindenstraße, Hauptstraße - überall in dem stillen Ort findet man Häuser mit Rissen, mal an alten Gebäuden, mal an neuen, manchmal über die ganze Fassade. Doch von den eingereichten Entschädigungsanträgen hat Vattenfall mehr als die Hälfte - insgesamt 274 - abgelehnt, von den anderen wurden etliche »ohne Rechtsanspruch« angenommen. »Wenn es irgendeinen Ansatz gibt, andere Faktoren zur Begründung heranzuziehen, tut Vattenfall das«, erklärt René Schuster, Tagebauexperte bei der Grünen Liga in Cottbus. »Der Schaden sei nicht eindeutig auf den Tagebau zurückzuführen, heißt es dann. Oft wird dabei mit dem Alter der Häuser argumentiert - die seien damals eben nicht sachgerecht gebaut worden. Doch wer hat 1930 für das Fundament eine derartige Grundwasserabsenkung in 80 Jahren einkalkuliert?«

Laut Landesbergamt treten solche Bodenabsenkungen grundsätzlich im gesamten Grundwasserabsenkungstrichter um einen Tagebau auf. »In der Regel«, erklärt Abteilungsleiter Ulrich Obst, »geschieht das gleichförmig über große Flächen«, so dass innerhalb kleiner Areale keine Differenzen entstünden. Aber: »Ausnahmen entstehen an Unstetigkeiten des Untergrundes.« Dort könne es »bei vorhandenen Bauwerken zur Rissbildung kommen«.

Im Dorf lädt ein grelles Plakat mit Girl zur »Pool-Party« in einem Gasthof, der Baum, an dem es hängt, sieht vertrocknet aus. Unter den Häusern und Straßen hier liegt das Grundwasser laut Vattenfall um sechs Meter tiefer als früher, in Jänschwalde-Kolonie um zwölf. Konzernsprecher Thoralf Schirmer bestätigt: Bei sich sprunghaft ändernden Bodenverhältnissen sei nicht auszuschließen, »dass durch die unterschiedliche Bodensenkung die Bauwerke so stark beansprucht werden, dass Risse entstehen können«. Aber: Dieses werde dann auf Grundlage von Paragraf 115 Bundesberggesetz »als Bergschaden anerkannt und reguliert«. Das Bundesberggesetz - genau da liegt das Problem: Paragraf 115 fixiert zwar die Pflicht des Verursachers zum Ersatz eines Bergschadens. Doch mit Paragraf 120 - er regelt die Beweislast - wird ein entscheidender Unterschied gemacht: Bei der »untertägigen Aufsuchung oder Gewinnung eines Bergbaubetriebes« müssen demnach die Betreiber nachweisen, dass aufgetretene Schäden möglicherweise nicht durch den Bergbau verursacht worden sind - Tagebaue werden gar nicht erwähnt. Dort also liegt die Beweislast bei den Betroffenen.

»Das Bundesberggesetz fußt auf sehr alten Bestimmungen«, erläutert Braunkohlenexperte Schuster. »Auch der Paragraf 120 hätte längst geändert werden müssen. Aber die großen Tagebaubetreiber wollen das natürlich nicht.« Zwar gibt es aktuelle Anträge von LINKEN und Grünen im Bundestag zur Reform des Gesetzes, doch die stoßen auf massiven Widerstand bei Union und FDP.

Im kleinen Lausitzdorf Jänschwalde jedenfalls entscheidet allein Vattenfall, was ein Bergschaden ist - und was nicht. Nach Gutsherrenart, sagt Schuster. Bei Vattenfall sieht man das natürlich anders. Man gehe schließlich bereits über seine gesetzliche Verpflichtung hinaus, indem man »angezeigte Fälle von möglichen Bergschäden aufnimmt und auf eigene Kosten begutachten lässt«.

»Ja, die erklären: Wir machen das für Sie!«, sagt der Schlosser, »Doch da kommen natürlich keine unabhängigen Expertisen heraus. Und eine Kopie, die man prüfen lassen könnte, bekommt man auch nicht in die Hand. Abgesehen davon, dass kaum einer das Geld hätte für eine Gegenexpertise.«

Auch die Höhe von Entschädigungen wird auf Basis jener Gutachten festgelegt. »Nehmen wir die Brunnen«, erklärt der Schlosser. »Jedes Grundstück hier hatte einen eigenen Trinkwasserbrunnen. Nach dem Anschluss ans Wassernetz wurden sie noch für die Gärten genutzt - spart ja auch Geld. Jetzt funktioniert keiner mehr. Vattenfall sagt: Der Brunnen war doch uralt - und zahlt ein paar symbolische Euro. Aber ohne den Tagebau hätte der doch noch funktioniert! Und einen neuen kann mit dem Vattenfall-Geld niemand bauen. Und so ist es auch mit manchen Häusern.«

Der Bergbaukonzern, der erst dieser Tage wieder sehr gute Quartalzahlen vorlegte, sieht da kein Problem. Wer nicht einverstanden sei, könne den Rechtsweg beschreiten, erklärt Sprecher Schirmer. Doch auch dafür braucht es einiges an Geld, und bei einer Niederlage muss der Kläger die Prozesskosten zahlen. Laut Schirmer hat das Gericht in allen bisherigen Fällen »letztendlich das Untersuchungsergebnis von Vattenfall bestätigt«.

An der Gubener Straße liegt der kleine Friedhof von Jänschwalde, die Trauerhalle ist ziemlich neu, ein Stück weiter dann ein nagelneuer Spielplatz. »Die Gemeinde möchte es sich mit Vattenfall nicht verderben«, sagt der Schlosser, »schon wegen der Sponsorengelder für kommunale Vorhaben. Jeder soll sein Problem mit Vattenfall privat klären. Außerdem arbeiten nicht wenige bei oder für Vattenfall. Die sagen öffentlich auch nichts. Dabei ist klar: Die Sponsorengelder sind für Vattenfall nur Peanuts.« »Vattenfall organisiert sich Untertänigkeit«, sagt Schuster. Ein aktuelles Beispiel ist für die Vattenfall-Kritiker das Lausitzer Klimacamp. 2011 konnten sich die Umweltaktivisten noch in Jänschwalde treffen, in diesem Jahr entschied die Gemeindevertretung dagegen. Auch die Vattenfall-Berichterstattung in regionalen Medien gehört laut Schuster in vielen Fällen zum Problem, er spricht von »unbezahlten Anzeigen«.

Nördlich von Jänschwalde liegen die Lasszinswiesen, ein geschütztes Gebiet. Auch hier ist der Grundwasserspiegel gefallen. Entlang der Wege stehen hier und da ein paar Pappeln in Reihe, etliche kränkelnd. Erst auf den zweiten Blick fallen die dicken Baumstubben ins Auge - erst einige Dutzend, dann mehr und mehr. »Von einem Jahr aufs andere sind hier Hunderte große Bäume gestorben, die Kulisse war gespenstisch«, erzählt der Schlosser. »Und dann wurde alles ganz schnell abgesägt, in die trockengefallenen Gräben wird sogar wieder Wasser hochgepumpt. Doch es ist zu spät.«

Stubben hin, Stubben her - Vattenfall erklärt, dem Konzern sei »kein massives Baumsterben in den Lasszinswiesen bekannt«. Derweil frisst sich der Tagebau weiter nach Norden. Jänschwalde ist heute, Bärenklau und Schenkendöbern sind morgen. Attawasch, Grabko und Kerkwitz werden solche Probleme wohl nicht haben. Sie sollen gleich ganz verschwinden.

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