Ist doch unsere Mauer!
Skandalfirma Verfassungsschutz: Die Affäre um das »Celler Loch« zeigt, dass nichts so ist, wie es scheint - wenn der VS in der Nähe ist
Unter welchen Umständen ist es nicht strafbar, mit einem lauten Rumms ein Loch in die Außenmauer eines Gefängnisses zu sprengen? Wenn man selbst der Staat ist, also der Eigentümer des Kittchens. Denn dann ist keinem Dritten ein Schaden entstanden.
Niedersachsen hat so tatsächlich einmal argumentiert, als es gerade ein bisschen peinlich wurde. Aber das ist noch längst nicht der Clou am so genannten »Celler Loch«, das Verfassungsschutz und GSG 9 im Jahr 1978 in die Außenmauer des Celler Gefängnisses sprengten, um eine versuchte Befreiung des linksradikalen Militanten Sigurd Debus vorzutäuschen und so Spitzel in das RAF-Milieu einzuschleusen. Das beste an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass ein Ex-VS-Mann 1982 Anzeige erstattete und haarklein erzählte, was Sache war. Aber niemand wollte das hören, hatte doch die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen soeben eingestellt, weil die Hintergründe angeblich nicht zu recherchieren waren.
Einige Monate später wurde die Geschichte dann doch in kleinem Kreise offenbar - die Landesregierung informierte die parlamentarische Kontrollkommission. Bis die Bürger von der Aktion erfuhren, vergingen indes weitere Jahre. Erst im April 1986 wurde ruchbar, wer die Bombenleger gewesen waren. Doch die Staatsanwaltschaft Lüneburg stellte die Ermittlungen nach einem Tag erneut ein. Es gab ja, siehe oben, keine Geschädigten!
Im Herbst 1986, also acht Jahre nach der Aktion, wurde dann in Hannover ein U-Ausschuss installiert, der freilich der Regierung von Ernst Albrecht (CDU) nicht zu nahe trat. Albrecht, der Vater der heutigen Bundesarbeitsministerin, log dabei, dass sich die Balken bogen: Nicht nur Debus‘ Ausbruch - zu dem es jenseits des VS-Szenarios keinerlei Pläne gegeben hatte - sei »verhindert« worden, im Zuge der Aktion habe man eine »geplante Mordtat« vereitelt und einen »Bombenanschlag« gestoppt.
Albrechts wilde Ammenmärchen über eine in Hamburg angeblich entdeckte Bombe, ein bereits vorbereitetes »Volksgefängnis«, gar eine aufgedeckte ETA-Zelle waren vollkommen haltlos. Doch über solche Lügen ins Gesicht der Nation lachte man in den 1980er Jahren allenfalls herzlich. Albrechts Innenminister Egbert Möcklinghoff (CDU) verstieg sich in diesem Zusammenhang zu dem legendären Spruch, die »Irreführung der Öffentlichkeit« sei nun mal »kein Straftatbestand«.
Debus hatte um 1974 in Hamburg offenbar eine Art zweite RAF aufbauen wollen, wurde aber nach einem Bankraub festgenommen, weil in seiner Gruppe ein Spitzel war. Nun stürmte man seine Zelle nur fünf Minuten nach der Explosion der Verfassungsschutzbombe. Die beiden Kleinkriminellen, die als V-Leute in die militante Szene eingeschleust werden sollten, waren ihm im Gefängnis nahegebracht worden. Sie hatten auf Geheiß des VS auch allerlei Utensilien »eingeschmuggelt«, die sich nun als Ausbruchswerkzeug bei Debus »sicherstellen« ließen, etwa ein »Engelshaar« zum Zersägen von Gitterstäben.
Debus, dem zuvor Hafterleichterungen gewährt worden waren, damit er mit den beiden Spitzeln in spe in Kontakt kommen konnte, wurde anschließend wieder unter scharfen Bedingungen gehalten - und die Aufklärung der Affäre hat er nicht mehr erlebt. 1979 wurde Sigurd Debus nach Hamburg verlegt, wo er zwei Jahre später nach einem Hungerstreik verstarb. Sein Vater Jürgen Debus schrieb dazu einen offenen Brief: Seiner Meinung nach war nicht der Hungerstreik selbst, sondern ein »Gefäßüberdruck infolge von Überinfundierung oder infolge der Zusammensetzung der Infusionslösung (Beigabe von Fettemulsion)« die Todesursache.
Im Internet: www.nd-aktuell.de/vspannen. Die Serie wird am Dienstag fortgesetzt.
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