Das Kindeswohl in den Fokus rücken

  • Katja Dörner
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte« - dieses Sprichwort trifft sicherlich nicht zu, wenn es sich bei dem »dritten« um ein Kind handelt, dessen Eltern sich ums Sorgerecht streiten. Deshalb darf es bei der aktuell anstehenden Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateten Eltern gerade nicht vorrangig um die Rechte von Vätern oder von Müttern gehen. Vielmehr muss der Staat die Perspektive des Kindes, das Kindeswohl, in den Fokus rücken.

In Deutschland wurde 1998 mit der Reform des Kindschaftsrechts die gemeinsame elterliche Sorge nach einer Scheidung zum Regelfall. Für nicht miteinander verheiratete Eltern wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben. Damit setzte sich das Leitbild durch, wonach die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl in der Regel am besten entspricht. Auch die UN-Kinderrechtskonvention formuliert dies entsprechend.

Kinder haben ein Recht auf beide Eltern und beide Elternteile sind gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung ihres Kindes verantwortlich. Nicht nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2003, dass ein unverheirateter Vater gegen den Willen der Mutter des gemeinsamen Kindes kein Sorgerecht bekommen konnte. In der vergangenen Legislaturperiode war die grüne Bundestagsfraktion die einzige, die diese Vetoposition der Mutter problematisiert und die Möglichkeit eingefordert hat, dass ein unverheirateter Vater beim Familiengericht einen Antrag auf Erteilung der gemeinsamen Sorge stellen kann.

Erst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember 2009 hat wieder Bewegung in die verfahrene Lage gebracht. Das Vetorecht der Mutter war nicht länger haltbar. Und so revidierte im August 2009 das Bundesverfassungsgericht seine Haltung; seitdem gilt eine Übergangslösung, wonach der Vater die gemeinsame elterliche Sorge beim Familiengericht einklagen kann.

Wenn zwei sich streiten, kann es lange dauern, bis eine Lösung gefunden wird. Die Regierungskoalition hat fast zwei Jahre gebraucht - zu lange aus Perspektive vieler betroffener Väter und ihrer Kinder. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung greift nun weitestgehend die Eckpunkte für ein gemeinsames Sorgerecht auf, die wir Grünen schon im Herbst 2009 vorgelegt haben. Es wundert also nicht, dass ich den Gesetzentwurf alles in allem für einen richtigen und guten Schritt nach vorne halte.

Insbesondere von Väterinitiativen wird ein automatisches gemeinsames Sorgerecht auch bei nicht miteinander verheirateten Eltern gefordert. Ich habe viel Sympathie für diese Forderung, denn aus der Perspektive der Kinder ist es egal, ob ihre Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht. Gründe, verheiratete und nicht miteinander verheiratete Eltern per se unterschiedlich zu behandeln, gibt es meines Erachtens nicht. Allerdings brauchen wir eine alltagstaugliche Regelung auch für die Konstellationen, in denen sich die elterlichen Konflikte sehr negativ auf das Kindeswohl auswirken oder in denen der Vater keinerlei Interesse an seinem Kind hat.

Während es völlig richtig und überfällig ist, dass Mütter beim Sorgerecht kein Veto haben, so darf den Vätern, die kein Interesse an ihrem Kind haben und ein Sorgerecht nicht im Sinne des Kindes nutzen, sondern einsetzen, um der Mutter und ihrem Kind das Leben schwer zu machen, nicht leichtfertig ein Instrument hierzu in die Hand gegeben werden. Deshalb finde ich den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Weg über ein niedrigschwelliges, unbürokratisches Antragsverfahren richtig. Es ist der Mutter durchaus zuzumuten, sich innerhalb einer angemessenen Frist zum Antrag des Vaters zu äußern. Vertretbar ist, dass andernfalls die gemeinsame Sorge quasi automatisch erteilt wird. Dem Leitgedanken, dass die gemeinsame Sorge dem Kinderwohl am besten entspricht, wird auch dadurch Rechnung getragen, dass - sollte die Entscheidung beim Familiengericht landen - dem Antrag des Vaters stattgegeben wird, wenn die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, also der niedrigschwelligste Prüfmaßstab Anwendung findet.

Der Vorschlag zur Neuregelung des gemeinsamen Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern ist aus meiner Sicht ein vernünftiger Kompromiss, um in teils höchst konfliktbeladenen Konstellationen widerstreitende Interessen unter einen Hut zu bekommen. Es ist zudem gerade in Konfliktfällen wichtig, die Beratung der Eltern und Mediationsverfahren deutlich zu stärken. Dieser Aspekt bleibt in der Sorgerechtsdiskussion leider erschreckend unterbelichtet. Dabei dienen Beratung und Mediation dem Kindeswohl häufig am meisten. Sie unterstützen die Eltern darin, trotz der Konflikte untereinander wieder ihre Verantwortung gegenüber den Kindern wahrzunehmen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -