Zu viel ANC und zu wenig Basis

Nach der Tragödie von Marikana suchen Südafrikas Gewerkschafter nach Antworten

  • Armin Osmanovic
  • Lesedauer: 4 Min.
Vorige Woche erschoss die Polizei 34 streikende Arbeiter in Südafrika. Nun wird nach einer Erklärung für die Tragödie gesucht. Klar ist jetzt schon: Die großen Gewerkschaften haben sich von den Arbeitern entfernt.

Eine Woche ist es her, dass in Marikana, an einer Platinmine im Nordwesten Südafrikas in der Nähe der Stadt Rustenburg, 34 streikende Bergarbeiter von Polizisten bei Auseinandersetzungen erschossen wurden. Seit Beginn des Streiks sind 44 Menschen in Marikana auf teilweise brutalste Art zu Tode gekommen. Darunter auch Sicherheitskräfte und Polizisten.

Südafrika sucht seitdem nach Antworten: Wie konnte diese Tragödie geschehen? Wer sind die Verantwortlichen für die Gewalt? Überforderte oder gar schießwütige Polizeikräfte oder gewaltbereite Arbeiter?

Am Mittwoch besuchte Staatspräsident Jacob Zuma zum ersten Mal die Bergarbeiter in Marikana. Er versicherte ihnen alles zu tun, um die Ursachen des Massakers aufzuklären. Die Bergarbeiter empfingen ihn mit Vorwürfen, denn er hatte am Tag nach der Tragödie nur die verletzten Polizisten und Bergarbeiter im Krankenhaus besucht, nicht aber den Weg zur Platinmine gefunden.

Julius Malema, der von Zuma geschasste ANC-Jugendligaführer, war der erste, der die Bergarbeiter besuchte. So sind denn auch die Bergarbeiter voll des Lobes. »Malema hat sogar Anwälte organisiert, welche die inhaftierten Kumpels nun vertreten werden«, sagte ein Arbeiter gegenüber den Medien.

Zuma sicherte den Bergarbeitern in Marikana während seines Besuchs am Mittwoch neben einer unabhängigen Untersuchung auch zu, mit dem Management des Bergbauunternehmens Lonmin zu verhandeln. Die Streikenden verlangen eine Verdreifachung ihrer Löhne von 4000 Rand pro Monat (rund 380 Euro) auf 12 500 Rand, (rund 1200 Euro).

Hilflose Spurensuche

Wie es zu dem Unglück kommen konnte, fragen sich seit letzter Woche auch die Gewerkschafter von Südafrikas größter Gewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers), die zum Dachverband COSATU gehört, der mit dem ANC und der kommunistischen Partei Südafrikas die Regierung bildet.

NUM erscheint seit Marikana ratlos und hilflos. Denn nicht erst seit dem Blutbad zeigt sich deutlich, dass NUM-Funktionäre vielfach kein Gehör mehr bei den Kumpels finden. Schon beim Streik auf einer anderen Platinmine im Platingürtel um Rustenburg Anfang des Jahres gelang es NUM nicht, die Arbeiter anzuführen. Selbst COSATU-Generalsekretär Zwelenzima Vavi fand bei den Streikenden kein Gehör, als er sie nach einem Verhandlungsergebnis aufforderte, zur Arbeit zurückzukehren.

Der Spalt zwischen immer mehr Arbeitnehmern und den COSATU-Funktionären hat nach Expertenmeinung mehrere Ursachen: Vor Ort gewinnen neue Gewerkschaften oder spontane Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern an Einfluss, so wie im Fall Marikana, wo die kleine Gewerkschaft AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union) den Streik für eine höhere Entlohnung angeführt hat.

NUM und COSATU investierten zu viel Zeit in die Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik. Die Probleme der Arbeitnehmer vor Ort, ihre miserablen Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in den Unternehmen, die immer wieder dazu führen, dass Arbeiter in den tausende von Metern tiefen Schächten sterben und die Armut in den Bergbausiedlungen erscheinen häufig weniger wichtig.

Die Beschäftigung mit dem ANC und im ANC, die nicht selten der persönlichen Karriere der Gewerkschaftsführer dient, ziehen viele Funktionäre der Interessenvertretung. Das rächt sich nun. Aus Sicht einiger Arbeitnehmer sind denn auch die Gewerkschaften wegen ihrer Nähe zur Regierung handzahm geworden. Weitgehende Forderungen nach mehr Lohn würden ignoriert, um im ANC nicht angefeindet zu werden.

Funktionäre und Arbeiter

Ärger bei den Beschäftigten ruft auch der Lebenswandel einiger Funktionäre hervor. So soll der Chef der Bergarbeitergewerkschaft NUM, Frans Baleni, 1,4 Millionen Rand (rund 130 000 Euro) im Jahr verdienen. Ein durchschnittlicher Lonmin-Arbeiter erhält gegenwärtig 4000 Rand im Monat, was etwas dem Durchschnittslohn in Südafrika entspricht. Die geforderte Erhöhung auf 12 500 Rand pro Monat erscheint vielen Kumpels auch daher mehr als gerecht.

Diese Analyse wird von der Gewerkschaftsspitze geteilt. Kurz vor dem Gewerkschaftstag Mitte September geht denn auch Vavi mit dem eigenen Laden hart ins Gericht. Vor allem der luxuriöse Lebensstil vieler Funktionäre ist dem Gewerkschaftsboss ein Dorn im Auge. Unterschiedliche Lebensstile und materielle Realitäten haben zu einer Führung geführt, die nicht mehr voll im Einklang ist, mit dem was die Mitglieder erleben, so ist von Vavi in einem Gewerkschaftsreport zu lesen.

Südafrikas Gewerkschaften stehen schwere Zeiten bevor. Einem NUM-Vertreter blieb gestern angesichts der Ablehnung, die ihm bei einer Versammlung von Bergarbeitern aus Marikana und Nichtregierungsorganisationen in Johannesburg entgegenschlug, nichts anderes übrig, als schnell das Weite zu suchen.

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