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Droht ein globales Experiment mit unabsehbaren Folgen?
Riesenspiegel im Weltall oder gigantische Gartenschläuche sollen den Klimawandel stoppen
Was vor wenigen Jahren noch wie reine Science Fiction und ein wenig spinnert klang, wird heute ernsthaft erforscht: So gab Schavans Bundesforschungsministerium 2011 mehre Studien zum Thema »Climate Engineering« (CE) in Auftrag. Die EU lässt seit fünf Jahren zu diesem Thema forschen. Und auch der Weltklimarat IPCC setzte sich damit auseinander.
Dabei klingen die Ideen oft sagenhaft. Der Geowissenschaftler Ken Caldeira beispielsweise will mit Ballons oder einem Zeppelin einen riesigen Gartenschlauch in die Stratosphäre transportieren. Drunten bliebe eine Pumpe, die Schwefelpartikel durch den Schlauch in die luftige Höhe jagt. 20 Kilometer nach oben.
Dort würden sie das Sonnenlicht reflektieren und »so in kürzester Zeit die komplette Erderwärmung der letzten hundert Jahre neutralisieren«, sagt Caldeira. Der 20.000-Meter-Schlauch sei die praktikabelste Methode, beteuert der Forscher. Doch ohne Schlauch gehts notfalls auch: Alternativ, so Caldeira, könnten die Schwefelpartikel regelmäßig von 50 Flugzeugen aus ausgestreut werden.
Was ist Climate-Engineering?
Climate Engineering ist laut Definition des Kiel Earth Institute »ein Sammelbegriff für großskalige technische Eingriffe in das Klimasystem der Erde«. Mittlerweile fast deckungsgleich verwendet wird der Begriff Geo-Engineering, worunter allerdings auch ganz andere Phänomene fallen: So werden insbesondere die sowjetischen Versuche, ganze Flüsse umzuleiten, um so die mittelasiatischen Steppen urbar zu machen, unter Geo-Engineering gefasst.
Ab den 1970er-Jahren fand Geo-Engineering Einzug in die Klima-Debatte: Erstmals wurden da die Injektion von Kohlenstoff in die Weltmeere (Ziel: die Aufnahmefähigkeit für Kohlendioxid erhöhen) oder die Ausbringung von Schwefelpartikeln in der Stratosphäre vorgeschlagen.
Anfang der 1990er-Jahre warb der Ozeanograf John Martin dafür, Weltmeere mit Eisen zu düngen, so das Algenwachstum zu forcieren und zwar mit dem Ziel, Kohlendioxid besser zu binden. »Gebt mir einen halben Tanker voll Eisen und ich gebe ich eine neue Eiszeit«, kündete Martin vollmundig an. Salonfähig machte die Idee Paul J. Crutzen, dem für seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse zum Ozonloch 1995 der Chemie-Nobelpreis verliehen worden war.
In punkto Eisendüngung war Crutzen vielleicht nicht ganz so brilliant. Ab dem Jahr 2000 wurde in diese Richtung experimentiert, so im Rahmen des deutsch-indischen LOHAFEX-Projekts. Doch das daran beteiligte Alfred-Wegner-Institut »lehnt großskalige Eisendüngung mit dem Ziel der Kohlendioxid-Reduzierung zur Klimaregulierung nach dem jetzigen Stand des Wissens ab«, so dessen Direktorin Karin Lochte zwölf Jahre später.
Kritiker: Folgen wie Erfolge nicht planbar
Auch das Bundesumweltamt ist nicht begeistert von Climate Engineering: »Im Moment gibt es keine Technologie, die es uns erlaubt, die globale Erwärmung nachträglich zu begrenzen«, sagt UBA-Präsident Jochen Flasbarth. Geo-Engineering berge zudem viele Risiken und könne die notwendige Reduktion von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen keinesfalls ersetzen.
Insbesondere warnt das UBA aber davor, das Vorsorgeprinzip zu verletzen: Das Klimasystem sei äußerst komplex, die Wirkungen von Climate Engineering wegen erheblicher Wissensdefizite und Unsicherheiten kaum abschätzbar.
In ein ähnliches Horn bläst in diesen Tagen die Deutsche Physikalische Gesellschaft. »Risiken und Erfolge von CE sind aus physikalischer Sicht derzeit nicht abschätzbar«, warnt Johanna Stachel, die Präsidentin der DPG. Selbst wenn solche Verfahren machbar und wirtschaftlich durchführbar wären, so würde dadurch nicht der gegenwärtige Zustand des Klimasystems konserviert oder ein neuer hergestellt.
Es würde ein völlig neuer, ein unbekannter Klimazustand erreicht. Stachel rät: »Die Vermeidung der Emission von Treibhausgasen muss höchste Priorität haben!«
Derweil warnt das Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie: Geo-Engineering würde zu mehr Dürren in Europa führen. Denn zwar würden die Temperaturen sinken. Mit ihnen aber auch die Niederschläge.
Klimawandel: Viereinhalb irrationale Reaktionen
Es gibt mehrere gleichsam paradigmatische Möglichkeiten, irrational auf den Klimawandel zu reagieren (meist übrigens interessengeleitet): Man bestreitet die Existenz des Klimawandels rundweg (Option 1) oder zumindest, dass von ihm irgendeine Gefahr ausgeht (Option 2); die Sondervariante lautet: Sehr her, wir profitieren von ihm, er hat mehr Vor- als Nachteile! (Option 2b).
Option 3 lautet: Wir emittieren weiterhin fröhlich Millionen Tonnen an Treibhausgasen, versprechen aber, sie zukünftig vielleicht irgendwann einzufangen, unterirdisch zu speichern und das auch noch sicher auf Jahrhunderte (CCS). Das klingt unglaublich, aber wir arbeiten daran, Indianer-Ehrenwort!
Climate Engineering ist die irrationale Option 4: Ein Experiment mit dem Planeten. Bei völlig ungewissem Ausgang: eine Technikfolgenabschätzung ist schlicht unmöglich. Verglichen damit war der Einstieg in die Atomkraft (bei dem ein – wenn auch schmerzhafter – Ausstieg möglich blieb) ein überschaubares Projekt.
Ein Auftrieb für Geo-Engineering?
Bisher galt Climate Engineering allenfalls als Notlösung, wenn alles andere scheitert. Doch mag der auch noch so utopistisch bis wahnhaft erscheinen – er könnte in den nächsten Jahren mehr Anhänger finden. Denn Klimagipfel um Klimagipfel scheitert. Offen wird über ein Großcomeback der Kohlekraft debattiert, um das, was man in diesem Land »Energiewende« zu nennen pflegt, so preisgünstig wie möglich zu halten. Die Konzerne könnten dann weiterhin Kohle und Öl verfeuern, so lange die Vorräte reichen jedenfalls.
Längst sinnieren Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages über »neue Ansatzmöglichkeiten einer weltweiten Klimapolitik« durch Climate Engineering, über »geeignete Stellen« von Reflektoren im Weltall und ihre Vorteile gegenüber anderen Methoden (beispielsweise würde »nicht in die komplexe Chemie der Atmosphäre eingegriffen«). Immerhin wird auch die Gefahr »unvorhergesehener Nebenfolgen« nicht gänzlich beschwiegen.
Auch die sozialdemokratische »Westdeutsche Allgemeine« will die Techniken nicht in Bausch und Bogen verdammen. So hieß es unlängst in einem Kommentar: Zwar könne niemand vorhersagen, wie gezielte Eingriffe auf das Erdsystem wirken, reagiere die Natur doch oft anders vorab berechnet. Doch just jetzt steckten die Beteiligten ihre Positionen ab. »Dabei«, fordert der WAZ-Kommentator, »darf Deutschland nicht abseits stehen. Wer mitreden möchte, muss mehr wissen – und forschen.«
Auch ihm – der großtechnophile Mann heißt übrigens Christopher Onkelbach – schwant zumindest eine Parallele zu den beiden großen Risikotechnologien des vergangenen Jahrhunderts: »Geo-Engineering könnte bald eine ähnlich aufgeregte Debatte auslösen wie einst die Atomkraft oder später die Gentechnik.« Könnte sein, es bliebe nicht die einzige Parallele.
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