"Die Strategien der Rechten in Lateinamerika haben sich geändert"
Die Entsendung einer Delegation nach Paraguay war das Ergebnis heftiger Kontroversen. Die Rechte des Europäischen Parlaments, insbesondere die spanische PP und Abgeordnete der französischen UMP, hatten sich zunächst jedwede Kritik am Putsch in Paraguay verbeten, stattdessen von einem normalen parlamentarischen Verfahren geredet und jeden Abgeordneten rüde angefahren, der die Rechtmäßigkeit der Absetzung Lugos zumindest in Frage gestellt hatte. Die Mission wurde dennoch von der Konferenz der Präsidenten bewilligt, doch der erste Programmvorschlag, gemeinsam erarbeitet von offiziellen Stellen des EP und der EU-Botschaft in Asunción, legitimierte die Putschregierung und sah fast nur Treffen mit Putschunterstützern vor. Am Ende waren die Linken in der Delegation in der Mehrheit, sofern man die spanische PSOE zur Linken rechnet. Ist es gelungen, andere Akzente zu setzen und PutschgegnerInnen zu treffen?
Jürgen Klute: Ja, das ursprüngliche Programm, das fast nur Begegnungen mit Vertretern von Lugo-Gegnern vorsah, konnte ein wenig modifiziert werden. Zwar blieb es bei einer Dominanz der Treffen mit Lugo-Gegnern. Aber auf Druck der linken MEPs fanden auch offizielle Treffen mit Lugo selbst, mit Vertretern linker Parteien, mit kritischen bzw. alternativen Medienleuten einschließlich Vertreter ihrer Gewerkschaft sowie mit Vertretern mehrere NGOs, die dem Putsch kritisieren, statt. Das Treffen mit der paraguayischen Bischofskonferenz hat trotz der Kritik der linken Delegationsmitglieder stattgefunden. Entgegen unserer Erwartungen hat es aber seitens der Bischofskonferenz – mit Ausnahme des Vorsitzenden – deutliche Kritik an dem Amtsenthebungsverfahren von Lugo gegeben, was sicher nicht im Sinne der spanischen und französischen Konservativen war. Man kann also schon sagen, dass es trotz aller Ungleichgewichte in der Zusammensetzung des Delegationsprogramms gelungen ist, die Positionen der PutschgegnerInnen deutlich zu Gehör zu bringen. Für sie ist das Amtsenthebungsverfahren nicht durch die Verfassung als Ganze gedeckt und für sie ist das vorzeitige Beenden einer Amtsperiode eines (linken) Präsidenten aus historischen Gründen das Charakteristikum eines Putsches.
Wie haben sich die rechten Abgeordneten bei diesen Treffen verhalten?
Die konservativen bzw. rechten Abgeordneten waren in dieser Delegation unterrepräsentiert. Der Vertreter der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) hat nur wenigen Treffen teilgenommen. Und er ist, wie auch ein Vertreter der Konservativen, vor dem Ende der Delegation abgereist. Insgesamt waren die Konservativen und Rechten also in der Defensive. Das hat es den »Linken« in der Delegation erleichtert, mit Fragen die Seite der Putschgegnerinnen etwas in den Vordergrund zu rücken und die Putschisten-Seite mit Fragen in die Enge zu drängen.
Welchen Eindruck haben Sie von den VertreterInnen der neuen Regierung? Ist ihnen die Gelegenheit, Lugo loszuwerden, in den Schoß gefallen? Oder sind sie vorbereitet? Stärken oder schwächen sie die Aussichten, dass die Rechte die Wahlen im April gewinnt?
Die gesellschaftliche Linke in Paraguay, die Lugo ins Präsidentenamt gewählt hat, hat es seinerzeit leider nicht geschafft, eine linke Mehrheit ins Parlament zu wählen. Mit einer linken Mehrheit im Parlament wäre das Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo wohl kaum erfolgreich gewesen. Doch so hat die Rechte ein leichtes Spiel gehabt, zumal auch die involvierten Verfassungsrichter vom Parlament abhängig sind. Ob das die Aussichten der Rechten stärkt oder schwächt, ist für mich nicht ganz eindeutig zu beurteilen. Einer der kritischen Bischöfe, mit ich nach unserem Treffen noch kurz gesprochen habe, schätzt die Situation allerdings so ein, dass die Rechte sich mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo eine günstigere Ausgangsposition für die Wahlen verschaffen wollte. Andererseits kritisierte eine konservative Journalisten – wir hatten neben dem Treffen mit den alternativen Medienleuten ein weiteres Treffen mit Vertretern der rechten Mainstream-Medien –, dass es nicht nachvollziehbar sei, neun Monate vor Ende einer Amtsperiode den amtierenden Präsidenten seines Amtes zu entheben. Das mag strategisch gedacht sein, aber es zeigt doch, dass es auch auf der konservativen Seite eine gewisse Kritik an dem Verfahren zu gegen scheint.
Haben Sie Demonstrationen gesehen?
Ja, am 17. Juli gab es eine Demonstration von Gewerkschaften vor unserem Hotel, in dem auch etliche der Treffen stattgefunden haben. Ich habe mit Repräsentanten der Demonstranten gesprochen und sie haben mir einige Papiere überreicht, die dokumentieren, dass der Druck auf Gewerkschaften und linke Arbeitnehmer, die sich für ihre Rechte engagieren, nach der Amtsenthebung von Lugo deutlich zugenommen hat. Dies haben uns auch die alternativen Medienleute berichtet und auch VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen, die nach dem Ende der offiziellen Delegation getroffen habe.
Wie schätzen Sie die Rolle der europäischen Botschaften und der EU-Vertretung in dem augenblicklichen politischen Richtungswechsel ein? Was haben sie Ihnen gegenüber geäußert?
Die diplomatischen Vertreter aus Deutschland, Spanien und vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) spielen den Putsch herunter. Aus ihrer Sicht gab es – wie sie süffisanter Weise anmerkten: im Gegensatz zu dem Putsch in Honduras in 2009 – keinen Militäreinsatz und keine gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen des »Präsidentenwechsels«. Alles sei doch im Rahmen der Verfassung abgelaufen. Und es gäbe ja durchaus ein Sicherheitsproblem auf dem Lande – gemeint sind die Konflikte mit Landlosen, die in der Tat zum Teil mit altertümlichen Waffen ausgestattet sind, um sich zu verteidigen. Das habe Lugo nicht in den Griff bekommen. Der spanischer Botschafter hielt es sogar für überlegenswert, die Landlosen in die Städte zu schicken, um die Landkonflikte zu beenden. Angesichts dieser Haltung sollte man vielleicht besser von einer neuen Art von Putsch, vielleicht von einem parlamentarischem Putsch sprechen. Offensichtlich haben sich die Strategien der Rechten in Lateinamerika geändert und sie versuchen zur Durchsetzung ihrer Interessen offene Gewaltanwendung zunehmend zu vermeiden.
Haben europäische Diplomaten auf die offene oder verdeckte Unterstützung des Putsches durch die Agrobusiness (Gensoja) und die Aluminiumindustrie (Rio Tinto) verwiesen? Wurde dies überhaupt thematisiert?
Soweit ich es mitbekommen habe, wurde das nicht direkt angesprochen. Wobei »Rio Tinto« ein paar Mal erwähnt wurde, aber mehr am Rande. Deutlich geworden ist aber in den Treffen, die wir hatten, dass die Landreform, die Lugo auf den Weg bringen wollte, im Zentrum des Konfliktes steht. Daran gibt es keinen Zweifel für mich. Mit der Amtsenthebung von Lugo soll die Landreform gestoppt werden! Profitieren werden davon Konzerne wie Monsanto oder »Rio Tinto«. In deutschen Medien war ja kürzlich zu lesen, dass Monsanto unter Franko ungehindert seine Gensoja-Projekte in Paraguay realisieren kann.
Das Abschlußcommuniqué unter Federführung des Delegationsleiters Luis Yañez (PSOE) ist butterweich. Es ist keine Rede von einem Putsch, aber davon, dass das EP eine Beobachtermission zu den Wahlen im April 2013 entsenden wird. Ist das keine indirekte Unterstützung des Putsches?
Nun, Yañez ist als Leiter der Delegation natürlich in einer unangenehmen Lage. Er hat eine Position zu vertreten, die das gesamte Spektrum der Delegation unter Berücksichtigung der Größe der beteiligten EP-Fraktionen widerspiegeln muss. In seiner mündlichen Ergänzung zu dem schriftlichen Kommunikee hat er sich dann doch etwas kritischer geäußert. Die Entsendung einer Beobachtermission zu den Wahlen 2013 wurde von Vertretern der Colorado-Partei gemacht. Insofern sehe ich eine solche Mission auch sehr kritisch, denn sie soll ohne Zweifel der Legitimation dessen dienen, was zur Zeit in Paraguay abläuft. Deshalb würde ich mich einer solchen Mission nicht anschließen. Etwas andres wäre es, wenn NGOs oder linke Parteien um eine solche Mission bitten würden, um Wahlbetrug zu verhindern oder auch Gewalttätigkeiten gegenüber Wählerinnen und Wähler.
Im Falle von Honduras haben die Putschisten ihr Ziel erreicht: Der Putsch von 2009 ist schnell aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Honduras sitzt wieder mit an jedem politischen Verhandlungstisch. Keine Regierung redet mehr von Ächtung, obwohl die Menschenrechtsverletzungen astronomisch zugenommen haben und ein gemäßigt linkes, aber demokratisches Projekt gewaltsam abgewürgt wurde. Wie sehen Sie die Zukunft Paraguays, wo die Absetzung des legitimen Präsidenten nicht wenige Parallelen aufweist?
Nun, wir haben für diese Delegation nach Paraguay gestritten, damit der Putsch nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden kann. Gerade ein EP, das jährlich den Sacharov-Preis an Verteidiger von Menschenrechten und politischer Meinungsfreiheit verleiht, steht in der Verantwortung, einen solchen verdeckten Putsch wie den in Uruguay ans Tageslicht zu zerren und diese offensichtlich neuere Form eines weniger mit offener Gewalt einhergehenden Putsches zu analysieren. Natürlich mit dem Ziel, allen Putschisten deutlich zu machen, dass sie aus dem EP keine Unterstützung erwarten können! Ich hoffe, dass das gelingt.
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