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Pinocchios Fakten

Kommentar von Olaf Standke

  • Lesedauer: 2 Min.

Wenn ein Parteitagsdelegierter der US-amerikanischen Demokraten nach einer durchzechten Nacht orientierungslos in der Lobby seines Hotels aufwacht und hofft, er könne Ärger abwenden, indem er sich der Polizei gegenüber als Kongressabgeordneter ausgibt, dann mag das gerade noch als peinlich-komische Hochstapelei durchgehen. Vergleichbar vielleicht mit Paul Ryan, der den Wählern vorflunkerte, was für ein toller Marathonläufer er sei, obwohl Wettkampfprotokolle zeigen, dass er in seinem Leben die knochenharte Strecke erst ein Mal und das auch mehr im Fußgängertempo zurückgelegt hat. Wobei - beim konservativen Vize-Präsidentschaftskandidaten ist solche Selbstdarstellung schon politisches Kalkül.

Auch in seiner Rede auf dem Wahlkonvent der Republikaner hatte es Ryan nicht so mit den Fakten. Beispielsweise warf er Präsident Barack Obama theatralisch vor, was er selbst in einem Gegenentwurf zum Etat der Regierung vorgeschlagen hat: 716 Milliarden Dollar Einsparungen bei der staatlichen Krankenversicherung für Rentner. Man muss gar nicht Joseph Goebbels bemühen, wie jetzt der Chef der Demokraten in Kalifornien mit Blick auf die Konservativen, um einen verheerenden politischen Ausfluss in den USA zu geißeln. Natürlich folgte dem Nazi-Vergleich ein empörter Aufschrei und Obama distanzierte sich - doch so schmutzig Wahlkämpfe in den USA schon immer waren, nach Einschätzung vieler Beobachter werde inzwischen tatsächlich so schamlos gelogen wie wohl noch nie. Auch bei den Demokraten; etwa wenn sie in Fernsehspots Mitt Romney wider besseres Wissen vorwerfen, er stehe für ein Abtreibungsverbot selbst im Falle einer Vergewaltigung. Das fordern zwar hirnrissige Fundamentalisten in seiner Partei, nicht aber der Präsidentschaftskandidat selbst.

Allerdings agieren die Republikaner nachweislich noch skrupelloser als die politische Konkurrenz. Das Online-Portal PolitiFact analysiert schon geraume Zeit öffentliche Aussagen beider Lager. Längst beschäftigen auch die großen Medien im Lande »Fact-Checker«. Auf bis zu 30 Lügen pro Woche kommen unabhängige Faktenüberprüfer. Danach soll jede zehnte Aussage des Romney-Teams völlig falsch sein, während es bei den Demokraten eine von 50 sei. Die »New York Times« jedenfalls ist sich sicher: »Fakten sind für Verlierer. Die Wahrheit ist tot.«

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