Wenn der Arzt pfuscht
Krankenkassen: Immer mehr Behandlungsfehler gemeldet
Immer mehr Patienten wenden sich an die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK), um Behandlungsfehler und daraus resultierende Beeinträchtigungen anzuzeigen. Dies geht aus der Erhebung des Spitzenverbandes der Krankenkassen hervor, die dessen stellvertretender Geschäftsführer Stefan Gronemeyer am Mittwoch in Berlin vorstellte. Die Gutachter der MDK untersuchten 2011 insgesamt 12 686 Fälle und kamen dabei 4068 Mal zu dem Ergebnis, dass eindeutige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst vorlagen. In 75 Prozent der Fälle sahen es Gutachter als gegeben an, dass ein angezeigter Behandlungsfehler für einen Gesundheitsschaden unmittelbar verantwortlich war.
Die MDK-Expertisen dienen als Grundlage für Schlichtungsverfahren mit den kassenärztlichen Vereinigungen beziehungsweise für Schadenersatzprozesse vor Zivilgerichten. Immerhin vier von fünf Patienten, die auf der Grundlage der Gutachten vor Gericht gehen, setzten dort eine materielle Kompensation durch, so Gronemeyer. Angesichts der hohen Hürden für den Beweis einer unmittelbaren Kausalität zwischen dem angezeigten Kunstfehler und aufgetretenen Folgeschäden sei dies eine gute Quote.
Nicht alle Fälle sind dabei so eindeutig wie das Beispiel eines 69-jährigen Patienten, bei dem unbemerkt blieb, dass er während einer Operation einen Beißkeil, der zur Fixierung eines Beatmungsschlauches verwendet wurde, verschluckte. In der Folge erlitt er einen Dickdarmeinriss, an dessen Folgen er verstarb. Ohnehin machen Fehler bei stationären chirurgischen Eingriffen den Löwenanteil der untersuchten Fälle aus. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Behandlung von Kniegelenks- und Hüftarthrosen. Die höchsten Fehleranerkennungsquoten sind in den Bereichen Pflege, Zahnmedizin und Gynäkologie zu verzeichnen.
Astrid Zobel, leitende Ärztin für Sozialmedizin beim MDK Bayern, räumte ein, dass von einer sehr hohen Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern auszugehen sei und daher kaum Rückschlüsse auf die allgemeine Qualität der medizinischen Versorgung möglich seien. Die Erhebung diene aber auch der »Identifizierung von Risikopotenzialen« um die Einhaltung medizinischer Standards in bestimmten Segmenten generell genauer zu untersuchen. Auch scheuten sich bislang viele Patienten, den aufwendigen bürokratischen Weg zur Erlangung eines Fehlergutachtens auf sich zu nehmen.
Abhilfe schaffen soll das neue Patientenrechtegesetz, das im Januar 2013 vom Bundestag verabschiedet werden soll. Die wichtigste Änderung betrifft die Kassen selbst. Denn bislang ist die Begutachtung möglicher Behandlungsfehler eine Ermessensleistung. In der Neufassung wird dagegen ein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Untersuchung formuliert.
Dem Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte geht die Reform nicht weit genug. Er fordert die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Patienten, wenn kein sicherer Nachweis der Ursächlichkeit einer Behandlung zu erbringen ist oder die Durchsetzung des Schadensersatzes unzumutbar lange dauern würde. Zudem verlangt der Verband, dass Ärzte, die sich in laufenden Verfahren zu einem Schadensfall äußern, nicht mehr den Schutz ihrer Haftpflichtversicherung verlieren.
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