Kampf gegen die Moderne im Namen des Propheten?
Die Anhänger des Salafismus behaupten, als einzige den wahren Islam zu verkörpern, auch in Deutschland
»Ihr führt Dschihad in unseren Ländern, also werden wir den Dschihad zu Euch bringen.« Diese Drohung richtet ein junger Mann per Video »an Merkel, Innenminister, Außenminister.« Das Video sei dem ZDF »exklusiv« zur Verfügung gestellt worden, vermutlich von deutschen Sicherheitskräften, heißt es in der vor wenigen Tagen ausgestrahlten ZDF-Dokumentation »Deutschland in Gefahr«. Autor ist der sendereigene »Terrorismusexperte« Elmar Theveßen.
Der Mann in dem Video heißt Denis Cuspert, aufgewachsen ist er in Berlin. Cuspert hält der Bundesregierung vor, »Waffengeschäfte mit Libyen, Saudi-Arabien und Pakistan« gemacht zu haben und »Millionen und Milliarden Euro einzusetzen, um Krieg gegen den Islam« zu führen. Deutschland sei dadurch selber zum »Kriegsgebiet« geworden, sagt er: »Ihr werdet nicht mehr in Sicherheit leben.«
Der 1975 geborene Denis Cus᠆pert war früher in Funk und Fernsehen bekannt als Rapper Deso Dogg. Seit er sich Ende 2010 zum Islam bekannt hat und darüber spricht, interessiert sich auch der Verfassungsschutz für ihn. Innerhalb weniger Monate wurde der Rapper unter salafistischen Islamisten zum Vorzeige-Muslim. Er nennt sich Abu Malik oder Abu Talha al-Almani (al-Almani - der Deutsche), spricht über das Recht der Muslime in Afghanistan, Irak, Tschetschenien und Somalia, sich zu verteidigen und predigt über das Glück, das Menschen im wahren Islam finden. Dutzende Videos mit ihm und über ihn kann man sich im Internet ansehen.
Angeblich soll Cuspert sich inzwischen in Ägypten aufhalten, weil es in Deutschland nicht mehr sicher für ihn sei. Mitte Juni hatte das Innenministerium den salafistischen Verein ‚Millatu Ibrahim' (Der Weg Abrahams) verboten, in dem auch Cuspert aktiv war. Die Gruppe hatte bundesweit mediale Aufmerksamkeit durch das Verteilen des Korans in Fußgängerzonen erhalten. Der Verfassungsschutz ordnet »Millatu Ibrahim« dem Spektrum von Al Qaida zu.
Unterwandert von verdeckten Ermittlern
Wie jede soziale und religiöse Bewegung sind ursprünglich auch die Salafisten eine Reaktion auf politische und wirtschaftliche Machtverhältnisse gewesen. Dabei spielt die Politik des Westens in islamischen Ländern insofern eine wichtige Rolle, als sie häufig als Einmischung und Unterdrückung verstanden wurde und wird. Die Salafisten in Deutschland haben vor allem Zulauf von jungen Leuten mit Migrationshintergrund. Die Biographie des Rappers Deso Dogg, dessen Mutter Deutsche ist und dessen Vater aus Ghana stammt, ist ein Beispiel dafür.
Auch zum Islam konvertierte junge, männliche Deutsche schließen sich den Salafisten an, sie werden von dem Zusammenhalt dieser Gruppierung, ihrer klaren Ideologie und dem selbst erteilten Kampfauftrag angelockt. Darüber hinaus befinden sich verdeckte Ermittler der Geheimdienste unter diesen Personen, wie Recherchen US-amerikanischer Medien im Falle eines jemenitischen Attentäters von Al Qaida ans Tageslicht brachten. Der Mann war bei den Kämpfern eingeschleust und später von diesen mit einem Attentat beauftragt worden. Für Frauen ist eine aktive politische oder kämpferische Rolle in dem Gedankengebäude der Salafisten dagegen nicht vorgesehen.
Die Gefahr, die hier in Deutschland von Salafisten ausgehen soll, wird seit einigen Jahren von deutschen Geheimdiensten in den schrecklichsten Farben geschildert. So sollen bei einem der Zugehörigkeit zu den Salafisten Verdächtigen, der im Mai 2011 in Berlin festgenommen worden war, Pläne gefunden worden sein »zur Geiselnahme auf Kreuzfahrtschiffen, Sprengung von Staudämmen oder Straßenkämpfen wie in Mumbai (Indien) 2008«, hieß es in der ZDF-Sendung. Die Dokumente stammten angeblich »direkt aus der Führung von Al Qaida.« Osama bin Laden solle die Angriffe in Deutschland persönlich genehmigt haben, bevor er kurze Zeit danach von einem US-Sonderkommando hingerichtet worden war. Unterlegt mit Kriegsbildern und dramatischer Musik schürt der Theveßen-Film Angst und wirbt für Schusswaffengebrauch, Drohneneinsatz und Spezialtruppen, um Deutschland vor dieser »Gefahr« zu schützen.
Profiteure des »Arabischen Frühlings«
Der syrisch-französische Soziologe Youssef Courbage hält die Salafisten nicht für eine »wirkliche Gefahr« für moderne Gesellschaften. In arabischen Staaten wie Tunesien seien Salafisten eine Reaktion von Männern »auf Freiheiten, die die Frauen dort errungen« hätten. »Wenn die Modernisierung sehr schnell geschieht wie im Falle Tunesiens, treten reaktionäre Kräfte auf und versuchen, das zu verhindern«, so Courbage im Gespräch mit der Autorin.
»Die Salafisten wollen dahin zurückkehren, was nach ihrer Meinung die ideale Gesellschaft in den Anfangszeiten des Islam war«. In Staaten mit vielen Millionen Menschen wie Deutschland oder Frankreich, seien die Salafisten nur kleine Gruppen. Courbage bezweifelt deshalb, »ob sie tatsächlich eine Gefahr für die Sicherheit sind. Eigentlich gibt es wichtigere Dinge, über die (in diesen Staaten - K . L.) nachgedacht werden sollte«.
In den Ländern des »Arabischen Frühlings« gehören die Muslimbruderschaft und Salafisten zu den Gewinnern. In Tunesien machen Salafisten mit drastischen Aktionen auf sich aufmerksam. Anfang des Jahres belagerten sie einen Fernsehsender und forderten den Schleierzwang an Universitäten.
In der »Wiege der tunesischen Revolution«, dem Ort Sidi Bouzid, stürmten rund 50 Salafisten am Montag dieser Woche das Hotel Horchani im Zentrum der Stadt. Sie zertrümmerten die Bar in den oberen Räumen des Hotels und riefen nach Augenzeugenberichten »Allahu Akbar« (Gott ist groß) und »Al-Sharab harram« was soviel heißt wie: »Alkohol (zu trinken) ist eine Sünde«.
Nach Angaben von Einwohnern hat die salafistische Bewegung in Sidi Bouzid in den letzten Monaten enorm an Zulauf gewonnen. Der salafistische Prediger Omar Bakri bedankt sich in der ZDF-Dokumentation zynisch bei den »arabischen Nationalisten«, die die korrupten, mit dem Westen verbündeten Regimes davon gejagt und ihnen - den Salafisten und Anhängern von Al Qaida - den Weg zu einem Gottesstaat geebnet hätten.
Dominanz Europas und »wahrer Islam«
Ursprünglich ist die Bewegung der Salafisten als Reaktion auf vermeintliche Fehlentwicklungen in den sunnitisch-wahhabitischen Gesellschaften des Nahen Ostens zu verstehen. Die Salafiya entstand als Reformbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurde vor allem von dem Ägypter Muhammad Abduh (1849-1905) entwickelt.
Seine Kritik an der »blinden Nachahmung« des Korans und am erdrückenden europäischen Einfluss auf die arabischen Gesellschaften, stieß wegen ihrer Radikalität zwar teilweise auf Ablehnung, fand aber dennoch viele Anhänger. Vorbild für die angestrebte Rückkehr zum wahren Islam mit seinem »Ischtihad« - der individuellen Aufopferung für die Gemeinschaft.
Die heutige mediale Globalisierung verbreitet radikales Gedankengut wie das von Al Qaida und Salafisten rasch. In Internet-Foren und durch Videos auf Youtube versammeln radikale Prediger und Organisatoren heute eine internationale Gemeinde um sich. Aus dieser rekrutieren sich Dschihadisten, die seit Ende der 90er Jahre mal für, mal gegen die westlichen Interessen in islamischen Ländern kämpften. Finanziert werden sie von Saudi-Arabien und Katar, wobei die beiden großen arabischen Satellitensender Al Dschasira (Katar) und Al Arabiya (Vereinigte Arabische Emirate) eine wichtige Rolle spielen.
Was als moderne und aktuelle Berichterstattung auch in der westlichen Öffentlichkeit geschätzt wird, hat eine religiöse Kehrseite. Radikale Prediger verbreiten über diese Sender regelmäßig ihre Botschaften in alle Welt. Die Golfstaaten finanzieren zusätzlich private religiöse Sender und bedienen sich der Religion, um politische Interessen zu transportieren. »Das sunnitische Blut ist eins« lautet das Motto eines solchen Senders, der unverblümt zum »Heiligen Krieg« gegen die »Ungläubigen in Syrien« (Alawiten, Schiiten und andere) aufruft. Scheich Adnan Al-Arour, einer der salafistischen Prediger, ruft über Wisal TV (Saudi-Arabien) offen zu Bluttaten in Syrien auf. Und Scheich Muhammad al-Zughbey (Safa TV, Saudi-Arabien) begann eine seiner Predigten mit dem Gebet: »Gott! Verbrenne Baschar Al-Assad … töte die ganze Assad-Familie und alle, die sie unterstützen. … Töte diese dreckige kleine Sekte!«
Der Bundesregierung ist der wachsende Einfluss der Salafisten bekannt, wie aus einer Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz hervorgeht. Die Ideologie werde »zunehmend professionell verbreitet« heißt es da, der Salafismus gelte in Deutschland und international derzeit als die »dynamischste islamistische Bewegung«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.