Jerewan in Aufruhr
Die Beziehung zwischen Armenien und Aserbaidschan ist nach Freilassung eines verurteilten Offiziers schwer gestört
Die Begnadigung des wegen Mordes verurteilten aserbaidschanischen Leutnants Ramil Safarov durch die aserbaidshanische Führung hat in Armenien zu hochemotionalen Diskussionen in der Bevölkerung geführt. Vor allem Ungarn wird scharf verurteilt, aber auch die EU. Safarov hatte 2004 während eines NATO-Lehrgangs in Budapest einen armenischen Leutnant mit einer Axt im Schlaf ermordet, und versucht, einen weiteren armenischen Militärangehörigen umzubringen. Budapests Regierungschef Viktor Orban wies vergangene Woche die Überführung von Safarov, der in Ungarn eine 30-jährige Haftstrafe absitzen sollte, nach Aserbaidshan an. Direkt nach seiner Ankunft in Baku wurde Safarov von Präsident Alijew begnadigt. Zudem wurde er, laut Medienberichten, zum Major befördert, bekam eine Wohnung im Zentrum Bakus und das ausstehende Gehalt ausgezahlt, das sich während der acht Jahre in einem ungarischen Gefängnis angesammelt hatte.
Die armenische Regierung hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Begnadigung in Baku die diplomatischen Beziehungen zu Budapest abgebrochen, das Vorgehen Bakus schärfstens verurteilt und die internationale Gemeinschaft aufgefordert, zu reagieren. Vor der ungarischen Botschaft in Jerewan kam es zu Protesten. Auch EU-feindliche Stimmen aus der Bevölkerung mehren sich. Diese folgen der Logik: Ungarn ist Mitglied der EU, die EU hat nicht verhindert, dass der Mörder eines Armeniers in die Freiheit entlassen wurde, also ist die EU mitverantwortlich. »Die EU fordert doch ständig, dass Armenien sich gemäß den EU-Werten und Richtlinien verhalten soll«, heißt es. Der Vorfall könnte so aufgefasst werden, dass Aserbaidshaner Armenier in einem EU-Land ermorden dürfen und ungestraft davon kämen, sagte die aufgebrachte Leiterin eines NGO-Netzwerkes in Jerewan.
EU-Berater und armenische Analysten versuchen, die Stimmung im Lande zu beruhigen. Richard Giragosian vom Zentrum für Regionale Studien in Jerewan streicht heraus, dass Ungarn formell keine Fehler gemacht habe. Die Überführung des Straftäters nach Baku sei rechtens gewesen; Baku habe zugesichert, dass Safarov seine Haftstrafe in Aserbaidshan weiter absitzen werde. Der Direktor des Südkaukasus-Instituts, Alexander Iskanderyan, ist der Auffassung, dass Jerewan jetzt strategisch in einer besseren Position sei, was den Karabach-Konflikt betrifft. So habe Baku bewiesen, dass es unvorhersehbar handele und man Aserbaidshan nicht vertrauen könne. Nach Meinung politischer Beobachter hat nicht die Überführung Safarovs, sondern erst die anschließende Reaktion der Aserbaidshaner den Konflikt verursacht. Das armenische Außenministerium war angeblich schon Wochen im Voraus über die Überführung informiert, wurde allerdings von der staatlich inszenierten Schau um Safarov überrascht. Das Vertrauen zwischen den beiden Staaten sei nun schwer gestört, sagt Giragosian. Hinsichtlich des Konfliktes um Berg-Karabach sei das beunruhigend.
Rätselraten herrscht unterdessen über die Motivation Bakus, zum einen die armenische Seite derart stark zu provozieren und auf der anderen Seite die ungarische Führung damit zu blamieren. Ungarn ist ein wichtiger Handelspartner für Aserbaidshan. Politische Beobachter sehen zum einen schlichte Nachlässigkeit. Andere interpretieren das Handeln Bakus als Frustration über die stagnierenden Verhandlungen wegen des Karabach-Konflikts.
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