Weltrekordler geschockt
Hürdensprinter Aries Merritt (USA) läuft mit 12,80 s Fabelzeit
»Ich bin geschockt«, war seine erste Reaktion. Gleich um sieben Hundertstelsekunden war er unter der vier Jahre alten Bestmarke des Kubaners Dayron Robles geblieben. »12,85 Sekunden waren mein Ziel. Deshalb ist die Zahl 1285 der Pin-Code für mein Handy und das Passwort für meinen E-Mail-Account. Nun muss ich meinen Geheimcode ändern«, sagte der 27-Jährige nach seinem fantastischen 12,80-s-Lauf.
»Es war das Rennen meines Lebens«, meinte Merritt, der zum zehnten Mal in diesem Jahr unter der spektakulären 13-Sekunden-Marke geblieben war. »Es war ein fast perfektes Rennen. Der Start war schnell, ich bin tief über die Hürden gesprungen, und dazwischen stimmte der Rhythmus. Aber es ist noch viel Raum für Verbesserungen.«
Der in Atlanta lebende Hürdenläufer wird seit zweieinhalb Jahren mit dem 33-jährigen An-dreas Behm aus Frankfurt am Main von einem deutschen Trainer betreut, der auch mal für den Deutschen Fußball-Bund tätig war und mit seinen Trainingsmethoden Merritt in der Grundschnelligkeit enorm vorangebracht hat.
Nach seinem ISTAF-Meetingrekord im Berliner Olympiastadion hatte Merritt noch gesagt: »Nein, das Wort Weltrekord nehme ich im Augenblick nicht in den Mund. Ich will mich nicht selbst verfluchen. Aber in der nächsten Saison greife ich den Weltrekord an, völlig klar. Ich bin noch längst nicht am Leistungslimit.«
Merritt war beim olympischen Goldlauf in London endgültig aus seinem Schatten gelaufen. »Ich hatte die ganze Saison über sehr gute Zeiten, aber noch keinen Titel. Ich hatte nichts vorzuweisen. Das sollte sich endlich ändern.« Im Olympiafinale lief er vor den Augen seiner Mutter und seiner Geschwister mit 12,92 s die zweitschnellste Zeit, die jemals bei Olympia gelaufen worden ist.
»Nach London«, so erzählte Merritt später, »habe ich mit Allen Johnson gesprochen, der mir viel Mut für meinen weiteren Weg gemacht hat.« Johnson ist eine amerikanische Hürdenlauf-Legende, Olympiasieger von 1996 und viermaliger Weltmeister. »Er hat mir gesagt, dass er immer gewusst habe, dass ich mal Olympiasieger werde. Das Lob war wie ein Ritterschlag für mich.«
Merritt schilderte schließlich, wie er als Elfjähriger 1996 während der Spiele von Atlanta vor dem Fernseher gesessen habe und von Johnsons Olympiasieg so begeistert gewesen sei, dass er zu seiner Mutter gesagt hat: »Mum, so etwas werde ich auch mal schaffen.« 16 Jahre später feierte er in London die Erfüllung dieses olympischen Traumes. Nun peilt er für 2013 in Moskau seinen ersten Weltmeistertitel an.
Ein glückliches Saisonende erlebte in Brüssel auch die deutsche Stabhochspringerin Silke Spiegelburg, die sich nach ihrem enttäuschenden vierten Platz in London mit ihrem Sieg (4,75 m) wie im Vorjahr den Gesamterfolg in der Diamond League sicherte, dafür 50 000 Dollar abkassierte und eine Wild Card für die WM 2013 in Moskau erhielt. Die 26-jährige Leverkusenerin war die einzige Deutsche unter den 32 Gesamtsiegern in dieser Premium-Meetingserie der Leichtathletik.
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