Kicken nach Gehör
Immer dem Rasseln nach - ein Besuch bei den Blindenfußballern vom VSV Würzburg
Veitshöchheim. Es geht rasant zu auf dem Trainingsgelände. »Voy, voy, voy!« ruft es aus jeder Richtung. »Voy!« ist das wichtigste Kommando im Blindenfußball - es bedeutet so viel wie »Ich komme«. Die erfahrenen Blindenfußballer rennen mit Tempo aneinander vorbei oder aufeinander zu. Unerschrocken jagen die Spieler über den Platz - und das, obwohl sie nichts sehen. Ein Laie erkennt im ersten Moment oft nicht einmal, dass er Blinden zuschaut. In Veitshöchheim (Landkreis Würzburg) trainiert Bayerns einziger Bundesligist im Blindenfußball. Der Vital-Sportverein VSV stellt eine von acht Mannschaften. Der letzte von sechs Spieltagen ist am 22. September in München.
Mit harten Bandagen
Neben den Rufen der Spieler verursacht der Ball das auffälligste Geräusch. Im runden Leder sind Rasseln, damit immer zu hören ist, wo es gerade zur Sache geht. Die blinden Sportler laufen konzentriert über das Spielfeld. Den Ball schieben sie mit kleinen Schritten zwischen ihren Beinen sicher vor sich her.
»Blinde sind es gewohnt, in den freien Raum zu laufen«, sagt Spieler Sebastian Schäfer. Er ist Mitglied der deutschen Blindennationalmannschaft und spielt seit vielen Jahren. »Es muss einfach irgendwann Klick machen. Selbst wenn mal ein Zusammenstoß passiert, merkt man bald, dass es nicht so schlimm ist.« Zimperlich ist hier keiner. »Es wird schon teilweise mit harten Bandagen gekämpft. Nach dem Schlusspfiff ist aber alles vergessen«, sagt Trainer Ansgar Lipecki. Spieler Schäfer weiß: »Die Gefahr der Kopfverletzungen ist natürlich höher, darum wird ja mit Kopfschutz gespielt. Kreuzbandrisse oder Ähnliches habe ich aber noch nicht mitbekommen. Am Ende ist der Blindenfußball insgesamt fast sicherer.« Und ein zweiter Aspekt spielt eine Rolle: Alle wollen zwar gern gewinnen - am Ende zählen aber die Gemeinschaft und das Fair Play, wie der Trainer sagt. »Es ist sehr kameradschaftlich. Alle Spieler verstehen sich sehr gut.«
Der VSV Würzburg aus Unterfranken hat kurz vor Saisonabschluss noch die Möglichkeit, den vierten Rang zu erreichen. Den Meistertitel hat das Team aus Marburg bereits in der Tasche. Robert Voigtsberger, Vorstandsmitglied im Deutschen Behinderten-Sportverband, sagt: »Für die Entwicklung des Blindenfußballs ist die eigene Bundesliga besonders wichtig.« Sie solle nun weiter ausgebaut werden. »Wir erhalten eine unheimliche Resonanz.«
2016 zu den Paralympics?
Der aktive Sport ist aber vor allem für die Spieler selbst ein wichtiges Erlebnis. Marcus Meier vom Berufsförderungswerk Würzburg (BFW) sagt: »Viele unserer Teilnehmer haben in ihrer Jugend ›normal‹ Fußball gespielt und können jetzt endlich wieder ihrer alten Leidenschaft nachgehen. Ohne Langstock, ohne Begleitperson. Für den blinden Sportler ist das ein Gefühl, so höre ich immer wieder, das ihm sehr viel Freiheit und Selbstbewusstsein gibt.«
In dem Bildungszentrum in Veitshöchheim werden Blinde und Sehbehinderte auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben vorbereitet. Auch Nationalspieler Schäfer büffelt mit BFW-Unterstützung für sein zweites Jura-Examen und will später promovieren. Doch beim Blindenfußball hat er ebenfalls hohe Ziele: »Sportlich will ich mit der Nationalmannschaft zu den Paralympics 2016 in Rio.«
Seit dem Jahr 2008 gibt es in Deutschland eine Bundesliga für
den Blindenfußball. Die Saison beginnt meist im April und endet im
September. An sechs Spieltagen treten acht Teams gegeneinander an. In
der laufenden Saison kommen sie unter anderem aus Gelsenkirchen,
Stuttgart, Würzburg und Chemnitz. Auch auf Länderebene wird
Blindenfußball gespielt. Für die Paralympics 2012 in London konnte sich
die deutsche Nationalmannschaft allerdings nicht qualifizieren.
(dpa/nd)
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