»Katalonien, ein neuer Staat in Europa«
Mehr als 1,5 Millionen Menschen demonstrierten in Barcelona für die Unabhängigkeit von Spanien
Das Motto der Demonstration am katalanischen Nationalfeiertag (Diada) konnte klarer nicht sein: Für »Katalonien, ein neuer Staat in Europa«. In dieser Losung sind sich die Katalanen so einig wie nie zuvor. Laut einer von der katalanischen Regierung, der Generalitat, im Juni in Auftrag gegebenen Umfrage, sprechen sich 51 Prozent der 7,5 Millionen Bewohner der Autonomen Gemeinschaft Katalonien für eine Unabhängigkeit aus - ein neuer Rekord und acht Prozent mehr als 2011.
Die im März gegründete Unabhängigkeitsbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC) ist sichtbar im Aufwind: Schon am Nachmittag füllten zahllose Menschen, mit der »Estelada«-Fahne bewaffnet, die Innenstadt Barcelonas. Das Wahrzeichen der Unabhängigkeitsbewegung mit dem weißen oder roten Stern auf der gelb-roten Flagge hat die gleichfarbige katalanische Fahne »Senyera« verdrängt.
Die Zahlen zur Beteiligung unterscheiden sich. Die Polizei spricht von mehr als 1,5 Millionen Menschen und die Veranstalter von zwei Millionen. Die spanische Regierung will »nur« 600 000 gezählt haben. Barcelona hat schon viele große Versammlungen erlebt, doch es war die »größte in der neueren katalanischen Geschichte«, wie die ANC-Präsidentin Carme Forcadell erklärte. Ein Marsch war angesichts des Kollapses der Demoroute nicht möglich. In Barcelona waren mehr Menschen auf den Straßen als in der gesamten Stadt leben. Sogar konservative spanische Medien können den Erfolg nicht kleinreden. Auch »El Mundo« titelte mit der »Menschenflut für die Unabhängigkeit«.
Die ANC hatte klar gemacht, dass es nur noch darum geht, die Vereinnahmung der katalanischen Regierung abzuweisen. Regierungschef Artur Mas hatte zwar zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen, aber seine konservative Konvergenz und Einheit (CiU) will vor allem bei der Spanien regierenden Volkspartei (PP) einen Fiskalpakt durchsetzen, der die katalanische Autonomie stärkt. Eine ANC-Abordnung überreichte im Parlament ihr Manifest, das unmissverständlich fordert, »die Sezession vom spanischen Staat einzuleiten«.
Mas hatte bei den offiziellen Feierlichkeiten zuvor versucht, die Stimmung in eine verbesserte Finanzierung umzumünzen. »Wenn es kein Abkommen gibt, ist der Weg zur Freiheit Kataloniens frei«, sagte er. Es gehe um die »volle Finanzsouveränität«. Sonst, warnte er vor der Demonstration noch, würden täglich mehr der 7,5-Millionen-Bewohner für die Unabhängigkeit eintreten.
»Es ist Zeit, Katalonien staatliche Strukturen zu geben«, sagte Mas nun gestern und sprach von einem »nationalen Übergang«. Im Parlament erklärte er aber, ein eigenes Steuersystem sei der erste Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit. Deshalb soll nun eine Steuerbehörde aufgebaut werden. Darüber wird Mas kommende Woche mit Ministerpräsident Mariano Rajoy verhandeln.
Die Lage ist schwierig, da Katalonien gerade in Madrid fünf Milliarden Euro Hilfe beantragen musste, um Anleihen refinanzieren zu können. Wegen seiner hohen Verschuldung ist es von den Finanzmärkten abgeschnitten. Für Katalanen resultiert die Situation daraus, dass seit Jahrzehnten viel Geld nach Spanien abgeflossen ist. Niemand bezweifelt, dass die Region besonders stark zur spanischen Wirtschaftsleistung Spaniens beiträgt, aber nur ein kleiner Teil fließt zurück.
Dass die Steuern der Katalanen nun immer weniger in Sozialleistungen, Bildung und Gesundheit fließen, sondern zur Bankenrettung, Schuldendienst, Militär oder die Monarchie ausgegeben werden, lässt das Fass überlaufen. Für 2014 wird ein Referendum angestrebt. Zum 300. Jahrestag des 11. September 1714, als Katalonien seine Eigenständigkeit verlor und unter die Herrschaft der Bourbonen fiel, soll über die Unabhängigkeit abgestimmt werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.