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Boomt Brasiliens Film?
Fernando Meirelles wurde als Regisseur von »City of God« weltbekannt
nd: Brasiliens Wirtschaft boomt. Wie macht sich das im Film- und Fernsehsektor bemerkbar?
Meirelles: In den letzten Jahren hat sich viel verändert, das ist tatsächlich ein echter Boom. Das Fernsehen war bei uns immer ziemlich wirtschaftsstark, schließlich sehen da zur Hauptsendezeit schon mal 40, 50 Millionen Menschen zu. Aber jetzt wächst auch der Kinosektor. Und alles staatsfinanziert. Brasilien produziert zurzeit über 100 abendfüllende Filme - vor zehn Jahren waren das noch sieben oder acht. Das Geld für die Kinoförderung kommt vom Kulturministerium, das fürs Fernsehen produziert der Markt.
Das Fernsehen bekommt keine staatliche Unterstützung?
Letztes Jahr ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das die ganze Fernsehlandschaft verändern wird. Das hat die Branche aufgemischt, die Begeisterung ist groß. Denn die Kabelsender, Warner, Fox, all die internationalen Senderketten, die bisher vorrangig US-Produktionen ausstrahlten, müssen ab September 2012 in der Hauptsendezeit täglich mindestens drei Stunden vor Ort in Brasilien produzierte Filme ausstrahlen. Sender, die bisher vielleicht 40, 50 Stunden einheimisches Material im Jahr versendeten, müssen jetzt plötzlich 1200 Stunden senden. Der Markt ist einfach explodiert. Weil der Bedarf so hoch ist, hat jeder eine Chance. Junge Leute von 18, 19 Jahren drehen ihre ersten Filme. Jeder findet eine Anstellung, es ist fantastisch. Nur die US-amerikanischen Sender, die beschweren sich natürlich.
Als Bürger eines Landes, das lange im ökonomischen Schatten anderer Länder stand, müssen Sie das als ungeheuer befriedigend empfinden.
Ich kann Ihnen sagen, es ist wie verkehrte Welt. Ich bin jetzt 55, und mein ganzes Leben lang hat mir jede Zeitung, die ich aufschlug, unweigerlich verkündet: Europa geht es gut, den USA geht es blendend, nur Brasilien steckt wie immer in der Krise. Das ist meine Lebensgeschichte: Ich bin der Mensch aus dem Land in der Krise. Und plötzlich ist es umgekehrt, Spanien leidet unter Arbeitslosigkeit, Italien ist so gut wie bankrott - und Brasilien boomt. Die Arbeitslosenquote liegt bei vier Prozent, fast jeder hat Arbeit, und die Filmbranche ist in Bewegung. Zum ersten Mal in meinem Leben, seit ich Zeitung lese, ist dort alles auf einmal anders.
Dann sehen Sie einer glänzenden Zukunft entgegen?
Nein, ich bin trotzdem nicht sonderlich optimistisch, was die Zukunft angeht. Aber das gilt für den ganzen Planeten. In Deutschland ist man so beschäftigt mit Umweltfragen, dem Klimawandel, der Überfischung der Meere, aber der Konsum geht trotzdem nicht zurück. Und Frau Merkel hat es nicht mal zum Umweltgipfel nach Rio geschafft. Als ob sich letztlich doch niemand wirklich dafür interessiert, was mit der Welt passiert. Das beschäftigt zurzeit 80 Prozent meiner Gedanken. Ich bin zum Aktivisten geworden. Gerade Brasilien hat da eine große Verantwortung: 24 Prozent des weltweiten Waldbestandes stehen bei uns. Noch ist der Artenreichtum groß, aber wir sind dabei, ihn zu vernichten. Mein nächster Film wird mit der Umwelt zu tun haben.
Haben Sie seit »City of God« überhaupt noch zu Hause gedreht?
Oh ja, ich habe auch in den letzten Jahren viel in Brasilien gearbeitet - nach jedem Film gehe ich zurück.
Fragen: Caroline M. Buck
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